Aus für Straßenköterblond

Reiseunternehmer und SPD-Europakandidat Vural Öger hat sich unbeliebt gemacht: Weil er so flapsig wie ironisch den gering ausgeprägten Wunsch deutscher Frauen nach Kindern kommentierte

VON JAN FEDDERSEN

Das wusste Kurt Tucholsky schon vor achtzig Jahren: Wenn man in Deutschland einen Scherz macht, sitzt daraufhin die halbe Nation auf dem Sofa und nimmt übel. Eine Erfahrung, die nun auch der Reiseunternehmer Vural Öger machen musste. Das ist nicht irgendwer, sondern erstens seit langem ein deutscher Staatsbürger türkischer Herkunft; zweitens Idol aller nach Deutschland eingewanderten TürkInnen, die wie er zwischen Flensburg und Füssen, Saarbrücken und Dresden unternehmerischen Erfolg haben wollen, weil sie Deutschland als ihr Land betrachten; drittens Kandidat der SPD für das Europaparlament; und viertens vehementer Fürsprecher von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

Neulich nun saß Öger in Frankfurt am Main bei einem Essen, das die türkische Zeitung Hürriyet gegeben hatte – kein offizieller Termin, sondern eher ein Treffen privater Art, ohne Reden und Vorträge. Ein Miteingeladener allerdings bemerkte Öger gegenüber, dass er sich mit einem Historiker gestritten habe, weil der strikt gegen die Integration der Türkei in die EU plädiert habe. Man habe die Türken 1683 vor Wien gestoppt – und werde dies auch weiterhin tun. Öger replizierte daraufhin – im plauderhaften Ton – „was der gute Süleyman nicht geschafft hat, das schaffen unsere geburtenfreudigen Türkinnen in der Bundesrepublik“.

Und da war er geboren und in Hürriyet publiziert, der Scherz zum Übelnehmen: Ein Mann, bei seiner Geburt noch kein Deutscher, macht sich über die Gebärunlust der eingeborenen Deutschen lustig und lobt zugleich die Lust am Nachwuchs, die, man spaziere nur einmal durch Istanbul, in der Türkei kultiviert werde. Darf der das? „Nur ein Witz?“, fragte gestern das Hamburger Abendblatt und berichtete, SPD-Landeschef Olaf Scholz habe Öger auf die Unvereinbarkeit von Politik und Ironie aufmerksam gemacht.

Davon abgesehen, dass dieser Befund ja niederschmetternderweise zutrifft, ist es doch so, dass Öger völlig richtig liegt: Familie gilt in der türkischen Kultur als Wirbelsäule des Alltags – und dementsprechend löblich gilt in ihr die Neigung zum Kind. Dass das in jener Kultur, die als eingeboren deutsch gilt, nur noch selten anzutreffen ist, ist ebenso gewiss. Kinder und Familie sind Objekte von Planung und Kalkül, eher selten von Zufall und Schicksal. Das mag man begrüßen oder ablehnen – zu bestreiten ist es nicht. Welchen Nerv aber hat Öger berührt, auf dass das Publikum nun aufjault? Die latente Angst, das trojanisch-türkische Pferd stehe längst in Deutschland und gebäre unerkannt muslimische Leitkultur?

Mit seiner flotten Bemerkung berührt Öger die Angst vor den Menschen, die, wie er selbst, keineswegs Lust auf ein Dasein in den Verhältnissen des Sozialstaats haben, sondern selber zeigen wollen, nötigenfalls gegen eingeboren-deutsche Konkurrenz, dass sie etwas besser können als andere. Missgunst einem gegenüber, dem man bedeuten will, doch nur Türke zu sein und kein echter Deutscher. Und zugleich auch die Furcht, die sich hin und wieder – und seit der Alterspyramiden- und Demografiediskussion der vergangenen Wochen – in Schlagzeilen bündelt wie: „Sterben die Deutschen aus?“

Dabei ist doch vor allem wahr, dass nach Lage der Dinge jener Menschenschlag aussterben wird, der heutzutage zu den ehern eingeborenen Deutschen zählt. Aber die Deutschen, also Menschen, die deutsche Staatsbürger samt Pass und Wahlrecht sind? Keineswegs. Die bleiben, die vermehren sich, obwohl auch die Geburtenrate in der Türkei langsam auf mitteleuropäisch-saturiertes Niveau zurückgeht. Das sind dann bloß keine straßenköterblonden Deutschen mehr, sondern solche, die nach heutigem Verständnis wie Bosporus aussehen und doch astreine deutsche Michel sind. Nur meist dunkelhaarig eben.

Deutschland wird das verkraften, wie auch die anderen Gesellschaften des reichen Europas den ethnischen Relaunch ihrer Bevölkerungen aushalten: weil sie Erfahrungen damit haben. Das halbe Ruhrgebiet ist eigentlich polnischer Herkunft, ach was, Deutschland ist das Gemisch aller Völkerwanderungen überhaupt. Gut so. Diese Migrationen zu organisieren, ist Aufgabe von Integrationspolitik. Vural Öger hat auf diesen Umstand reagiert – vielleicht (und naiverweise) ohne die Xenophobie seiner (deutschen!) Landsleute mitzubedenken.

So oder so: Welch schöne Folge der Geburtenunlust, wenn das Phantasma vom türkischen Horror, der in Wien vor gut 300 Jahren abgewehrt werden konnte, endlich einer praktischen Prüfung unterzogen werden kann: Holt die Türkei in die EU!