Duell der Regisseure: „The Five Obstructions – Die fünf Fallstricke“ von Lars von Tier und Jørgen Leth im Lichtmeß
: Die Dogma-Wette

Wer dachte, das DOGMA 95-Manifest sei nur so etwas wie ein einmaliger Anflug von Regelaufstellungswahn gewesen, der kennt Lars von Trier einfach schlecht. Was für ein unnachgiebig fordernder Zeitgenosse der Däne sein kann, das durfte nach Nicole Kidman bei den Dreharbeiten zu Dogville nun auch Jørgen Leth, eines der wichtigsten Vorbilder Lars von Triers erfahren.

Der dänische Dokumentarfilmer, Schriftsteller und Sportkommentator hatte 1967 „Der perfekte Mensch“ gedreht, einen zwölfminütigen Essay-Film, der von bestimmten täglichen Verrichtungen ausgehend, nach dem „Funktionieren“ des perfekten Menschen fragt. Diese schwarzweiße „Perle“ hatte es von Trier so angetan, dass er Leth vorschlug, gleich fünf Remakes davon zu drehen – nach Regeln freilich, die er, von Trier, ihm vorzugeben gedachte. Leth freute sich über die interessante Herausforderung, und so trafen sich die beiden Filmemacher fünf mal über einen Zeitraum von drei Jahren, jeweils um sich das Ergebnis gemeinsam anzuschauen und die Vorgaben für den nächsten Film zu besprechen.

Film Nummer eins musste auf Kuba gedreht werden, mit Einstellungen von höchstens zwölf Einzelbildern, also einer halben Sekunde. Da wirken die Bewegungen eines Tanzpaares zwangsläufig etwas ruckartig, aber immer noch erstaunlich elegant und der ganze Film viel eher virtuos als „spasstisch“, wie es von Trier sich gewünscht hatte. Als Leth ob der vielen Hindernisse stöhnt, entgegnet von Trier nur trocken: „Ja, nächstes Mal müssen es mehr sein. Wir müssen dich noch mehr in die Enge treiben.“

Zum Beispiel indem er von Leth verlangt, den zweiten Film an dem für ihn unangenehmsten Ort der Welt zu drehen. Es ist dann schon mehr als pikant, Leth, diesmal selbst in der Rolle des „perfekten Menschen“, mitten im heruntergekommenen Rotlichtviertel von Bombay – durch eine Plastikplane von Schaulustigen getrennt – im Smoking vor einer mit erlesenen Speisen gedeckten Tafel sitzen zu sehen. Wieder ist von Trier nicht zufrieden und würde Leth am liebsten sofort wieder zurückschicken. Stattdessen gewährt er ihm nun „complete freedom“, worüber Leth zunächst völlig perplex ist. Schließlich dreht er in einem Brüsseler Hotel mit Patrick Bauchau, dem alt gewordenen Hauptdarsteller aus Eric Rohmers Die Sammlerin, und schneidet die Bilder im Split-Screen-Verfahren gegen die einer jungen Schönen.

Der nächsten Forderung nach einem Zeichentrickfilm – eine Filmform, die Leth genauso hasst wie von Trier – entzieht er sich, indem er einen Realfilm dreht, den er dann digital animieren lässt – wie es Richard Linklater bei Waking Life tat. Weil ihm aber auch dieser Film zu schön ist: „Es muss einfach Scheiße werden“, dreht von Trier Film Nummer fünf kurzerhand selbst – nicht ohne Leth einen Text sprechen zu lassen, den von Trier, als Leth, an sich selber gerichtet hat.

Beschränkungen können fruchtbar sein, das zeigt The Five Obstructions eindrucksvoll – vor allem wenn man es wie Jørgen Leth versteht, sie elegant zu umgehen. Ob Lars von Trier in seinem mitunter wahnhaften Bemühen zum einfachsten Ausdruck der Dinge zu gelangen, wohl auch seinem anderen großen Vorbild, Carl Theodor Dreyer – würde der noch leben – vorgeschlagen hätte, den Jeanne d‘Arc-Film noch einmal neu zu drehen? Zuzutrauen wäre es ihm. Eckhard Haschen

Donnerstag, 20 Uhr, Lichmeß