Fakten schaffen

„Focus TV“ nimmt es damit leider nicht besonders genau, wie ein Bericht vom Kreuzberger 1. Mai deutlich zeigt

Kreuzberg in den Abendstunden des 1. Mai. Vermummte Jungs rollen eine brennende Mülltonne auf einen schwarzen BMW zu. Kurze Zeit später brennt auch er. Die Menge um sie herum jubelt. Von Polizisten, die dem Treiben ein Ende setzen könnten, keine Spur. Im nächsten Schnitt: der verzweifelte Besitzer des BMWs und seine weinende Frau.

Brennende Autos, randalierende Jugendliche und ohnmächtige Polizisten – angesichts dieser Bilder dürfe man sich doch sehr wundern, mit wie viel „sinnloser Gewalt“ sich die „Behörden zufrieden stellen“, leitet „Focus TV“-Moderatorin Christiane Gerboth den Fernsehbericht ein. Im darauf folgenden Beitrag wimmelt es dann nur so von Beschreibungen wie „dem Angriff der Chaoten“, vom „Mob“ ist die Rede und von der „Stunde der Vandalen“.

Bloß, von welchem 1. Mai ist da die Rede? Ein brennendes Auto hat es beim diesjährigen 1. Mai tatsächlich gegeben, aber am helllichten Tag. Es war auch kein schwarzer BMW, sondern ein Smart. Und das Ganze geschah nicht in Kreuzberg, sondern in Lichtenberg. Dies alles geht aus dem „Focus TV“-Beitrag aber nicht hervor. Auch der Hinweis, dass es sich beim brennenden BMW vielleicht um Archivbilder handeln könnte – Fehlanzeige.

Der Berliner Abgeordnete und Kreuzberger Lokalpatriot Stefan Zackenfels (SPD) hatte den Beitrag gesehen. Sein Fazit: Die Bilder vom brennenden BMW sind gar nicht von diesem Jahr. Nach etlichen Versuchen sei es dem Bezirk dieses Mal endlich gelungen, die alljährliche Straßenrandale einzudämmen. Und der Dank der Journalisten? Weil sich Bilder von brennenden Autos auf der Flimmerkiste wohl besser verkaufen lassen, habe „Focus TV“ „wissentlich oder versehentlich einen Verlauf des Kreuzberger 1. Mai dargestellt, der so nicht statt gefunden hat“. Zackenfels sieht darin einen gravierenden Verstoß gegen journalistische Grundsätze. Bei der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien hat er Beschwerde eingelegt.

Einer der „Focus TV“-Autoren beteuert die Authentizität der Bilder. Ein „verlässlicher Kameramann“ habe die Szenen gefilmt. Die Berliner Polizei aber sagt: „In Kreuzberg hat an diesem Abend kein Auto gebrannt.“

Damit bestätigt „Focus TV“, was Bewegungsforscher Dieter Rucht vor einem Jahr in seiner Studie „Die Lust am Ausnahmezustand“ behauptet hat. Dass nämlich Medien eine Gewalt verherrlichende und ritualisierte Berichterstattung pflegen, die mit zur Randale beiträgt. Fakten, Fakten, Fakten. „Focus TV“ kann da mithalten – indem es selbst welche schafft. FELIX LEE