Die überflüssige Mätresse

Axel Springer stellt die Frauenillustrierte „Allegra“ ein, nachdem das Mädchen zuvor in Grund und Boden renoviert worden war – zuletzt sah das Magazin aus wie ein Trendblatt für Fußpflegerinnen

VON SILKE BURMESTER

In der Welt des Fernsehkommissars Derrick waren Frauen diesseits der Altersmarke 50 fast ausnahmslos „Mädchen“. Vor allem, wenn sie tot waren. Erst mit dem Nachfolgeformat „Siska“ änderte sich die Haltung um einige Nuancen. Sie war respektvoller, offener, neugieriger. Aber das Unverständnis, die hinter Spröde versteckte Hilflosigkeit gegenüber Frauen, zumal selbstbewussten, blieb.

Axel Springer mag ein Frauenkenner gewesen sein. Die Objekte seines Verlagshaus waren dies nie. Was sie waren oder sind, ist fataler: Sie reagieren nicht auf Frauen, sie formen sie. Auflagenriesen wie die Bild-Zeitung, Bild der Frau, die ehemalige Familienzeitschrift Hörzu, aber auch Publikationen wie das Journal für die Frau haben wesentlich zur Festschreibung der deutschen Frau als Haushalts- und Familienwesen beigetragen.

Anfang der 90er-Jahre kam Andreas Petzold, heute Chefredakteur des Stern, und bastelte ausgerechnet in dieser von christlich-konservativer Angsthaltung geprägten Männerwirtschaft ein Heft zusammen, das ganz anders war als das, was man bis dahin für das weibliche Geschlecht vorgesehen hatte.

Ein Heft zwar mit Mode und Beautythemen, aber vor allem ein Magazin, das geschickt dort andockte, wo die vorangegangene Girlism-Ära den weiblichen Nachwuchs hingetragen hatte. Zum Ich jenseits der Fähigkeit, ein behagliches Heim herrichten zu können. Die Allegra wurde zur Lieblingslektüre derjenigen, die die Wertigkeit ihrer Person nicht über die Marke der Handtasche definierten, sondern über Individualität.

„Befindlichkeitsjournalismus“ nannte Nikolas Marten dies stets. Der Mann, der aus Mist Gold zu machen versteht und das Frauenobjekt der Milchstraße, die Amica, von einem dahindümpelnden Irgendwas zu einem glamourösen Aufstieg führte. Doch diesmal lief es anders. Vor zwei Jahren als Herausgeber und Leiter der Frauentitel zu Springer geholt, wurde in vorauseilendem Gehorsam seitens der Allegra-Chefredaktion begonnen, das Blatt populistischer zu machen. Mehr Promis, mehr Mainstream, das Aushängeschild, der stets in Schwarzweiß gehaltene Titel, wurde farbig. Im Ergebnis verlor Allegra ihre Individualität und ihren Charakter. Die aktuelle Juniausgabe mit einer schwammigen Promotion-Fotografie von Kate Winslet auf dem Titel mutet an wie ein Trendblatt für Fußpflegerinnen. Innen ein liebloses Chaos aus Reportagen in bester Allegra-Manier, Meldungswirrwar und Anzeigen auf White-Trash-Niveau.

Gerüchte um die Einstellung Allegras gab es schon länger. Ebenso wie den Eindruck, das Heft werde absichtlich gegen die Wand gefahren. Der Verlag begründet seine jetzige Entscheidung mit dem gesunkenen Anzeigenaufkommen.

Tatsache ist, dass der enorme Erfolg des als Zeitschrift getarnten und handtaschenkompatiblen Warenkatalogs Glamour etablierte Titel inhaltlich wie finanziell noch immer ins Schwimmen bringt. Und auch, dass der Springer-eigene Neustart der Glamour-nahen Jolie ebenso wie andere unter dem Druck des Glamour-Erfolgs auf den Markt geworfenen Hefte zeigen, die junge Frauengeneration pfeift auf journalistische Inhalte.

Allegra war für Springer nie eine goldene Kuh. Aber ein Prestigeobjekt, das man sich leistete, weil das Licht seiner Moderne, seiner Anerkennung und Auszeichnungen auf den Verlag abstrahlte. Jetzt, wo Frauen wieder da angekommen sind, wo sie berechenbarer sind, wo sie Strandtaschen aus Kunststoff für 528 Euro vorgeführt bekommen, wo es wichtig ist, zu sehen, wie Jennifer Aniston sich so stylt, ist eine Frau wie Allegra überflüssig geworden.

Zuerst hat man sie verdreht. Als sie an ihrem Wandel erkrankte und ihr Gesicht verlor, hat man dem Mädchen kurzerhand den Garaus gemacht.