Zeitungsschwund

Beim Trend zur sinkenden Auflage wird Deutschland nur noch von Irland und Großbritannien überholt. Zum Glück gibt’s wenigstens mehr Anzeigen

VON STEFFEN GRIMBERG

Deutschlands Presse steckt weiter in der Krise, und ein Blick über den Tellerrand lässt die Herzen von Verlegern und Chefredakteuren nicht eben höher schlagen: Deutsche Zeitungen haben in den letzten fünf Jahren stärker an Auflage verloren als die Presse jedes anderen großen EU-Landes.

Um 8,1 Prozent ging die Auflage seit 1999 zurück, und ob die deutschen Presselenker tröstet, dass die Lage in Portugal (–16,76 Prozent) Österreich (–12,9 Prozent) und Dänemark (–9,6 Prozent) noch dramatischer ist, darf bezweifelt werden. Schließlich ist Deutschland vom Umsatz her einer der fünf größten Zeitungsmärkte der Welt – und stärker ins Minus ging es in dieser Spitzengruppe nur noch für Japan.

Auch der aktuelle Trend bringt laut der World Association of Newspapers (WNA), in der über 100 nationale Verleger- und Branchenverbände zusammengeschlossen sind, keine Entspannung: Zwar liegen im Jahresvergleich Irland und Großbritannien vorn, doch 2002/2003 verlor auch Deutschland weitere drei Auflagenprozente. Der EU-Durchschnitt (ohne Neumitglieder seit 1. 5.) lag bei minus 2,2 Prozent, das entspricht täglich rund 1,4 Millionen Zeitungsexemplaren weniger.

Bevor’s gar zu traurig wird: Der Anzeigenmarkt, seit 2001 dickstes Sorgenkind der Branche, hat sich letztes Jahr leicht erholt. 2,8 Prozent plus in Deutschland – vor allem dank des Einzelhandels mit seinem Trend zu immer heftigeren Rabattschlachten und dem erbitterten Discounter-Wettbewerb von Aldi und Co. Durchgehende Anzeigenverluste verzeichneten 2003 nur Italien, Frankreich und Spanien.

EU-Unterschiede

Die Werbekrise hat die EU-Staaten insgesamt höchst unterschiedlich getroffen. Während Deutschland wie Frankreich, Spanien und Schweden im Fünfjahresvergleich zweistellige Einbrüche verzeichnen musste, verbuchten Belgien, Dänemark, Griechenland und Luxemburg zweistellige Wachstumsraten.

Stabil blieb dagegen die Reichweite der Presse: Mit 684 Exemplaren auf 1.000 Erwachsene bleiben die NorwegerInnen die treuesten Leser weltweit, gefolgt von Japan (647) und Schweden (590). Großbritannien liegt im oberen (393), Deutschland im unteren Mittelfeld (322) – dafür aber immerhin noch deutlich vor den USA (263).

Die deutlichsten Auflagensteigerungen meldeten erwartungsgemäß China und Indien – plus 36 bzw. 23 Prozent seit 1999. Und das, obwohl nach der Statistik der WNA Zeitungen in Indien am teuersten weltweit sind: Nach jeweiligen Durchschnittswerten gerechnet, reicht das komplette Jahreseinkommen nicht aus, um jeden Tag eine Zeitung zu kaufen. In Europa liegen die Balkanstaaten mit Werten zwischen 10 und 25 Prozent des Jahreseinkommens vorn. In Schweden oder der Schweiz – für Deutschland gibt es keine Zahlen – sind es keine zwei Prozent.

International geht der Trend offenbar weg vom großen Format: Nach den Pionieren wie Independent und Times in Großbritannien hat auch Deutschland – vorerst allerdings nur testweise in Berlin – seine kompakte Welt im Tabloid-Format. Laut WNA erwägen weltweit derzeit mindestens 20 große Titel den Umstieg von groß auf klein.

Diverse kleinere Staaten haben da ganz andere Sorgen: In Bhutan mit seinen zwei Millionen Einwohnern erscheint überhaupt keine Tageszeitung. Und in Äquatorialguinea gibt es laut WNA nicht mal eine Druckerei.