BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE
: Du wildes Triebtier, du

Früher habe ich Wolf bewundert. Bis mir klar wurde, dass er sich seine serielle Polygamie vom Staat bezahlen ließ

Bevor ich zum Treffen mit Wolf aufbrach, dachte ich, alle Rechnungen zwischen uns seien beglichen. Schließlich hatte ich vor mehr als 20 Jahren unsere Affäre beendet, indem ich in rasender Wut mit einem Leichtbügeleisen auf ihn losging, ohne genau zu wissen, warum, und das war ein Teil des Problems. Jetzt sitze ich hier, in einem Gartencafé in Berlin-Schöneberg, und alles fällt mir wieder ein.

„Ich muss schon sagen, du hast dich wirklich gut gehalten“, hat Wolf gerade erklärt und es wirklich nur nett gemeint. Auf dem Tisch liegt eine Fotoserie, auf dem seine Villa in Spanien und seine neueste Freundin im Bikini zu sehen ist. Sie ist nur wenig älter als ich damals. Wolf ist jetzt Ende 50.

„Deine Fotomotive sind immer noch die gleichen“, sage ich und versuche, locker zu klingen, „fast könnte man meinen, die Zeit sei still gestanden. Nur du bist ein bisschen älter geworden.“ Woher kommt eigentlich dieses Gift in meiner Stimme?

Im Hintergrund ertönt sanfte Musik mit einsamer Klarinette, der Soundtrack aus dem „Englischen Patienten“, irgendjemand hat die CD eingelegt. Ich kenne das Stück gut, der Haupteffekt besteht darin, im richtigen Moment nach F-Moll zu modulieren, Streicher drunter, im Film erklären sich Held und Heldin ihre Liebe, sie in Weiß, er weint, sie stirbt. Alles kalkuliert. Wie banal doch die Architektur der Gefühle ist.

Wolf ist mein Tonfall nicht entgangen. „Hör mal, wenn du mir jetzt rüberschicken willst, es sei nicht politisch korrekt, mit einer 30 Jahre jüngeren Frau zusammen zu sein, dann sage ich dir nur eins: Gefühle kann man nicht ändern.“ Er schlägt die Beine übereinander. „Ich glaube, das sind alte Programmierungen. Will nur keiner zugeben.“

„Du warst ja schon immer ein wildes Triebtier“, sage ich ironisch.

Irgendwas Trauriges steigt in mir auf. Aber das kann auch an der Musik liegen. Jetzt ertönt das Liebeslied aus „Titanic“, auch dort wird in eine B-Tonart gewechselt, um mehr Gefühl aus der Liebesszene herauszupressen.

Wie habe ich Wolf früher mal bewundert. Er, der Filmemacher, durch den ich Leute kennen lernte, die sonst nie ein Wort mit mir gewechselt hätten. Zwei Langzeitbeziehungen hat er nach mir gehabt, aus denen zwei Kinder hervorgegangen sind. Er zahlte immer Kindesunterhalt, heiratete aber nie. Seine zweite Freundin lebte mit der Tochter lange von Sozialhilfe. Die dritte Freundin, G., ließ sich lange vom Arbeitsamt unterstützen. Und die vierte liegt jetzt hier im Bikini auf dem Tisch.

„Du hast dir deine serielle Polygamie auch ganz schön vom Staat bezahlen lassen“, sage ich, „andere lassen die Mütter ihrer Kinder nicht auf Sozialhilfe hängen.“ Wolf ist jetzt ehrlich irritiert. Das habe ich ja immer geschafft. Aber ich freue mich nicht über den Sieg. Wahrscheinlich wirke ich auf ihn wie eine moralische Tante, irgendwas Frustiges jedenfalls und garantiert unsexy.

Mir schießt das Bild durch den Kopf, wie ich mich als 22-Jährige in der Hängematte auf seiner Dachterrasse räkelte, und fragte: „Sag mal, warum stehst du eigentlich nicht auf gleichaltrige Frauen?“ „Och, die haben schon so viel Frust in sich“, hatte Wolf geantwortet, „da ist dieser resignierte Zug um den Mund.“ Damals war er 35 Jahre alt und kämpfte mit seinem Bauchansatz.

Der Titanic-Song ist zu Ende. Manchmal muss man einfach loslassen, denke ich und nippe an der Weinschorle. Mein schilfgrünes Etuikleid jedenfalls ist hier so überflüssig wie der extra haltbare Lippenstift. Im Hintergrund läuft der Soundtrack zu „Sieben Jahre in Tibet“. Komplizierte Vorzeichen-Wechsel. Auch ein bewegender Film. Und es kommt kein Sex drin vor.

„Was, schon so früh zurück?“, fragt mich Christoph, als ich um elf Uhr wieder zu Hause auflaufe. Er hat die Kinder längst ins Bett gebracht. Ich sage nichts.

Eigentlich geht es mir besser, als ich dachte. „Wolf ist ein Angeber. Du hattest ja früher einen Hang zu solchen Typen.“ Christoph grinst. „Aber zum Glück hast du dann ja mich getroffen.“

Fragen zum Triebtier? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH