„Frankenstein-Food“

In Washington sind gentechnisch veränderte Lebensmittel selbst für ausgemachte Ökos kein Thema

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Der „Super Safe Market“ in der Washingtoner Mt. Pleasent Road ist die amerikanische Version eines heruntergekommenen Tante-Emma-Ladens. Straße und Fassade sind schmutzig. Es riecht bei dem schwül-heißen Wetter etwas nach saurer Milch. An der nächsten Ecke stehen zu jeder Tageszeit Trauben von Männern aus Zentralamerika herum, rauchen und trinken Kaffee. Viele warten als Tagelöhner auf Arbeit. Noch ist das ihr Stadtbezirk, auch wenn immer mehr weiße Mittelständler und Studenten hier hin ziehen.

Die beiden Latinofrauen an der Kasse des Super Safe schütteln nur mit dem Kopf. Sie sprechen kaum Englisch, wie viele der Kunden hier, und mit dem Begriff „Genfood“ können sie nichts anfangen. Eine ruft den Manager, einen freundlichen Koreaner. Der Mann ist gut informiert. Er weiß, dass nur in Waren mit dem rote Kennzeichen „organic“ garantiert keine gentechnisch veränderten Zutaten verarbeitet wurden. Zielsicher führt er an vollgestopften Regalreihen vorbei zu fünf versteckten Produkten mit dem roten Label: Tomatenjuice, Salsa, Spaghettisoße und eine Fertigsuppe in der Büchse – klassisches Studentenfutter. Die meisten Kunden interessieren sich hier nicht für diese Waren, sagt er, aber einige kaufen sie gezielt, auch wenn sie teurer sind. Als tüchtiger Geschäftsmann bietet er sofort an, auch andere Produkte aus organischer Fertigung zu bestellen, sofern Interesse bestünde.

Wer ein breiteres Sortiment sucht, fährt einige Meilen weiter Richtung Weißes Haus zum „Safeway“, einer landesweiten Supermarktkette, wo es neben riesigen Gefrierschränken mit Fertiggerichten auch eine Frischtheke gibt. Die erste Verkäuferin hat von genetically modified food noch nie etwas gehört. Die zweite erklärt selbstsicher, dass immer auf der Verpackung stehen würde, wenn genetisch veränderte Substanzen enthalten sind. Der Verweis, dass offenbar kein Produkt in den Regalen Angaben dazu enthält, macht sie stutzig. So genau wüsste sie es nun auch wieder nicht, sagt sie und ruft per Lautsprecher die mollige Chefin. Diese will keine weiteren Auskünfte geben und verweist an die Konzernzentrale.

Dort räumt Firmensprecher Greg Tensyk ein, dass man bei den meisten Produkten schlichtweg nicht wüsste, ob sie gentechnisch manipulierte Zutaten enthielten. „Für eine Kennzeichnungspflicht wie in Europa fehlt in den USA der öffentliche und politische Druck.“ Die meisten Verbraucher würden Gentechnik in der Landwirtschaft weder als Gesundheits- noch als Umweltthema betrachten, glaubt er. Allerdings registriere man ein wachsendes Bedürfnis nach „organischen“ Lebensmitteln. Daher gebe es in neueren oder renovierten Supermärkten das Konzept „store within the store“ – eine Delikatabteilung. In dieser Ladenzone würden ausschließlich organisch erzeugte Waren angeboten, also kein Genfood. Ein Blick in die Regale des Untersuchungsobjektes zeigt jedoch, dass dort überwiegend Produkte mit der Aufschrift „natural“ oder „ohne Zusatzstoffe“ stehen – eine Kennzeichnung, die aber nichts über gentechnisch veränderte Zutaten aussagt.

Also auf zu „Whole Foods“, dem selbst ernannten König unter den amerikanischen Ökomärkten. In Washington gibt es mittlerweile drei, platziert in den wohlhabenden Stadtvierteln, deren Bewohner für ein Stück Butter vier Dollar zahlen. Auf einem Großteil der Produkte leuchtet das rote „Organic“-Zeichen. Auf manchen Tortillaships-Tüten ist sogar extra fett „GMO free“ gedruckt. Eine junge Frau, 28 Jahre und Vegetarierin, vermeidet nicht bewusst Genfood. Sie wusstee gar nicht, dass hier überhaupt gentechnikfreie Produkte angeboten werden. Sie wolle sich vor allem gesund ernähren, achte daher auf Waren mit wenig Kalorien und Fett und organischer Herstellung. Gentechnik in der Landwirtschaft sei für sie jedoch kein Problem. Das sagen viele – sogar hier.

Tim kommt hierher, weil er in diesem Laden Fleisch und Brot kaufen kann, das nicht oder nur wenig industriell vorgefertigt ist. Lebensmittel aus normalen Supermärkten sind für ihn „Frankenstein-Food“. „Ich kann das Zeug nicht mehr essen. Dafür habe ich zu lange in Europa gelebt“, sagt er. Brandan Smith wohnt gegenüber. Der Supermarkt, „eine Ausnahme für Amerika“ ,wie er sagt, sei einfach bequem für ihn. Angesichts der deftigen Preise kauft er jedoch auch viel woanders ein. Nur Gemüse und Obst holt er immer hier. Was Genfood anbetrifft, ist Smith, der sich als umweltbewusst bezeichnet, bislang noch nicht überzeugt, dass es für Umwelt und Gesundheit schädlich ist. „Wenn es hilft, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren, warum nicht?“ Er fürchtet jedoch, dass die Technologie nicht ausgereift ist und es viele unbekannte Faktoren gibt. Er kenne aber kaum Leute in seinem Freundeskreis, die sich über Genfood Gedanken machen. „Die kaufen hier nur, weil die Sachen schmecken und nicht mit Chemie vollgestopft sind.“

Biowaren liegen im Trend. Ihr Umsatz ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, wenn sie auch insgesamt immer noch Nischenprodukte darstellen. Der Anteil von Ökoprodukten am Gesamtsortiment von „Whole Foods“ schwanke zwischen 30 und 60 Prozent, abhängig vom Konsumverhalten am jeweiligen Standort, sagt die Pressesprecherin „Vielen Kunden ist nicht bewusst, dass das Gütezeichen ‚organic‘ gleichzeitig auf gentechnisch unveränderte Lebensmittel hinweist.“ Auch sie meint, dass Verbraucher vor allem Wert auf möglichst wenig verarbeitete Produkte legen, die keine Konservierungsstoffe enthalten. Außerdem sollen sie einer Landwirtschaft stammen, die nur minimal Chemikalien einsetzt. „Gentechnik ist dabei einfach nicht auf dem Radarschirm der Leute.“

Die Einzigen, die hier zu Genfood eine klare Meinung haben, sind Ökofarmer aus dem ländlichen Umland von Washington. Sie bieten am Wochenende ihre Produkte feil. Robin Shuster, die seit zwei Jahren den „Farmers Market“ auf der Mt. Pleasent Road organisiert, befürwortet ausschließlich die konventionellen Methoden zur Pflanzenzüchtung. Sie hat ein mulmiges Gefühl bei der Vorstellung, dass ein Fisch-Gen in eine Tomate eingebaut wird. „Das ist widernatürlich.“

Alle Farmer hier verkaufen Produkte aus eigenem Anbau, die jedoch nicht als Biowaren zertifiziert sind. „Die meisten scheuen den bürokratischen Aufwand“, meint Shuster. Sie glaubt, dass sich alle strikt an die „Organic“-Richtlinien der US-Lebensmittelbehörde halten. Der Geschmack allein scheint die Kunden zu überzeugen.