nebensachen aus kaliningrad
: Von der Jagd auf kurze Röcke und von Frauen, die schon längst die Hosen anhaben

Vizegouverneur Oleg Schlyk hatte endgültig genug. Seit Frühlingsbeginn waren die Mitarbeiter in der Kaliningrader Gebietsverwaltung nicht mehr bei der Sache. Dabei gab es Wichtiges zu erledigen. Freihandelszonengesetz und regionales Förderprogramm hätten längst fertig sein sollen.

Russlands Beamtenschar genoss nie den Ruf, zu den Fixen zu gehören. An Lust und Liebe für die eigentlichen Aufgaben fehlte es den Staatsbediensteten seit je. Gleichwohl spornten sie Russlands Literaten zu Hochleistungen an, die der Malaise auch nicht abhelfen konnten.

Die Ursache des lahmenden Tatendranges glaubt der Vizegouverneur jetzt erkannt zu haben. „Einige unserer Mitarbeiterinnen laufen nicht einfach nur von Büro zu Büro, nein, sie defilieren geradezu in ihrer verführerischen Aufmachung.“ Der Amtskorridor als Catwalk. Die Darbietungen seien „hübsch und romantisch“, würden den Arbeitseifer jedoch empfindlich beeinträchtigen.

Noch gibt es weder einen Rocklängenerlass noch eine DIN-Vorschrift, die DEN und Oberbekleidungstransparenz verbindlich festlegt. Daran wird wohl gearbeitet. So lange sind die Verwaltungsdamen angehalten, sich unaufdringlich in strengerem Business-Stil zu kleiden, die Röcke auf Knielänge zu halten oder Hosen anzuziehen. Welche Sanktionsmaßnahmen bei Zuwiderhandlung greifen sollen, darüber herrscht noch keine Einigkeit.

Russinnen legen großen Wert auf Kleidung und Äußeres. 12 Prozent des Monatslohnes geben sie für Kosmetika aus – weit mehr als das Doppelte, was die bislang führenden Konsumentinnen aus Frankreich, Deutschland oder England auszugeben bereit sind. Mit steigender Tendenz – 1,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes waren es 2003.

Ob zum Empfang oder zur Mülltonne, die Russin verlässt nie ungestylt das Haus. Säße Natascha Iwanownja nicht tagein, tagaus missmutig hinter der Kasse im Supermarkt, niemand hielte sie für eine Verkäuferin. Russlands Männer lassen sich die permanente Reizüberflutung – in der Öffentlichkeit zumindest – nur selten anmerken.

Könnte hier nicht ein Schlüssel des reichlichen Wodkakonsums liegen? Das „Wässerchen“ als Tranquilizer, Betablocker und sozialhygenisches Sedativum letztendlich? Russinnen können mit Zielmodifikation und Objektwechsel, Ergebnis jeglicher Sublimierung, ihrer ethisch bis zur Selbstaufgabe verantwortungsbewusst handelnden Männer nicht adäquat umgehen. Ausbleibendes Interesse werten sie als Zeichen mangelnder Attraktivität und legen noch eins zu – oder auch ab.

Ein Teufelskreis, den schon der Engländer Jenkinson im 16. Jahrhundert feststellte. Der Umgang mit Schminke sei so verschwenderisch, dass ein Mann die Farbschichten auf ihren Gesichtern schon aus Schussweite erkennen könne. Der Lauf der Geschichte konnte dem nichts anhaben. Die klassenlose Gesellschaft des Kommunismus verstärkte den Drang zu kosmetischer Hochrüstung. Das Äußere wurde zur Obsession.

Dahinter verbargen sich mangelndes Selbstvertrauen und die Furcht vor dem Natürlichsein. Für die Kosmetikbranche ist das heute ein Segen. An Schönheit an sich glaubt sie nicht, an Schönheit für sich um so mehr, die will aber aufgetragen sein. Daran ändert auch kein Vizegouverneur etwas, denn Hosen haben die Frauen in Russland längst an.

KLAUS-HELGE DONATH