Der Literat, dem das Leben dazwischenkam

Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy bekommt dieses Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Es ist schon ein eigentümliches Wechselspiel, das zwischen der Literatur und dem richtigen Leben stattfindet. Großartig ist die Literatur, die voll aus dem Leben schöpft, die so nah wie möglich am Leben dran ist; in einem ganz anderen, nicht mehr ganz so hellen Licht steht die Literatur da, wenn das Leben seine eigenen, bösen Volten schlägt, auf die Literatur keine Rücksicht nimmt und ihr die Grenzen aufzeigt.

Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy, der dieses Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommt, musste diese Erfahrung in extenso machen. Im Jahr 2000 schloss er seinen großformatigen Familienroman „Harmonia Caelestis“ ab – ein 800 Seiten starkes, überbordendes, anekdotenreiches und detailverliebtes Buch über die Esterházys, eine der großen, weit verzweigten Aristokratenfamilien Europas, in die Péter Esterházy 1950 hineingeboren wurde. In eine Familie, die im zwanzigsten Jahrhundert erst den Untergang der Monarchie, dann den des Adels und des Bürgertums miterleben musste und sich 1948, halbwegs verarmt und enteignet, im Kommunismus wiederfand.

Im schwer zentrierbaren Mittelpunkt dieses Romans stand Máthias Esterházy, der Vater, auf den Péter Esterházy große Stücke hielt und dem er mit „Harmonia Caelestis“ ein liebevolles Porträt zeichnete. Was Esterházy jedoch nicht wusste und erst kurz vor Fertigstellung des Romans erfuhr: Sein Vater hatte von 1957 bis 1980 unter dem Decknamen „Csanadi“ Spitzeldienste für die ungarische Staatssicherheit geleistet. Plötzlich bekam das genauso lebenspralle wie kunstvoll arrangierte und ausgearbeitete Familienporträt eine andere Schlagseite, und Esterházy reagierte darauf, indem er „Harmonia Caelestis“ mit einer „Verbesserten Ausgabe“ ergänzte. Diese enthält nun die auf diese Enthüllung hin geschriebenen Tagebuchaufzeichnungen Esterházys. Vor allem aber zitiert er in „Verbesserte Ausgabe“ zahlreiche Passagen aus den Berichten Máthias Esterházys an die berüchtigte „Abteilung III/III“ der ungarischen Stasi und stellt diese neben dessen Zitate und oft nur beiläufigen, aber im Nachhinein anspielungsreichen Äußerungen aus „Harmonia Caelestis“.

Mit diesem Buch, das konnte man in der „Verbesserung“ schön sehen, war Esterházy der von der Literatur ebenfalls gern eingeforderten „Wahrheit“, dem wirklichen Leben, schon sehr nahe gekommen – aber nicht nahe genug. Kein Wunder, dass „Verbesserte Ausgabe“, wiewohl ein gutes, wichtiges Buch, in keinster Weise an die Literarizität von „Harmonia Caelestis“ heranreicht: Das Leben forderte seinen Tribut. Vor diesem Hintergrund hat es dann seine besondere Bewandtnis, wenn der Börsenverein in seiner Begründung für die Friedenspreisverleihung davon spricht, dass Esterházy nicht nur die Zerstörung des Menschen durch Terror und Gewalt beklage, sondern auch versuche, dessen „Wiederauferstehung in Trauer und Ironie“ zu begründen. ALEXANDER LEOPOLD