Endlich ankommen

Freiheitsdrang und Zerstörungslust: Das ist manchmal nicht zu unterscheiden in Jan Krügers Film „Unterwegs“

Seltsame Fügung auf der letzten Berlinale: Während in den Road Movies der Retrospektive des „New Hollywood Cinema“ der motorisierte Outlaw gefeiert wurde, der in der schieren Bewegung durch Amerika seine Freiheit von den Zwängen der Gesellschaft proklamiert, machten die Protagonisten der meisten Beiträge in der „Perspektive Deutsches Kino“ die umgekehrte Erfahrung. Bloßes Unterwegssein führt sie auf keinen Fall aus gesellschaftlichen Verpflichtungen und Normen hinaus, sondern höchstens in noch tiefere Verstrickungen hinein.

Wer da on the road war, wollte vor allem eines: endlich ankommen, zu Hause sein, liegen bleiben. So endeten die Figuren auf einer Brücke („Der Typ“), auf den Gleisen der U-Bahn („Zwischen Nacht und Tag“), auf dem Parkstreifen der Autobahn („Mitfahrer“) oder auf einer Tankstelle am Rande von Nirgendwo, wie Benni (Florian Panzner) in „Unterwegs“. Dabei hatte alles viel besser angefangen.

Sandra (Annabelle Lachatte), ihr Freund Benni und ihre Tochter Jule campen an einem brandenburgischen See. Dass sie „keine richtige Familie“ sind, bemerkt die Urlaubsbekanntschaft Marco (Martin Kiefer) schon beim ersten Kennenlernen. In dieser Konstellation hat der Neuankömmling keine Schwierigkeiten, das Urlaubstrio zu einem Ausflug an die polnische Ostsee überreden. Dort beginnt zwischen den Männern und der Frau eine verwickelte ménage à trois, wobei der Film an manchen Momenten sogar die Möglichkeit aufscheinen lässt, dass Marco sich ebenso zu Benni wie zu Sandra hingezogen fühlt.

Es bleibt allerdings bei Andeutungen, wie so vieles in Jan Krügers Spielfilmdebüt, das in seiner elliptischen Erzählweise das fragile Beziehungsgeflecht mit jeder neuen Wendung wieder in Frage stellt. Erklärungen werden keine gegeben, Dinge geschehen einfach, wie sie geschehen. Bei aller Freundlichkeit bleibt Marco undurchsichtig: Man weiß nicht, ob er aus Verzweiflung, Freiheitsdrang oder Zerstörungslust agiert. Nicht einmal das Licht des Films scheint sich entschließen zu können, den Figuren und ihren Motiven Konturen zu geben. Die Handlungsabsichten werden buchstäblich von den dunklen, körnigen Bildern verschluckt, die in starkem Kontrast mit der kalten Helle des Strandes und des Horizontes stehen, der in vielen Einstellungen kein Versprechen von Weite birgt, sondern eine endgültige Grenze bildet: von hier geht es nicht mehr weiter. Am Ende steht jeder für sich vor einem Scherbenhaufen.

DIETMAR KAMMERER

„Unterwegs“ im fsk, am Oranienplatz 1, 20 und 21.45 Uhr