Blick zurück nach vorn

Gerhard Hoffmann war in den Siebzigern bei den Gründertagen der Schwulenbewegung dabei. Er sagt heute: Der Kampf hat sich gelohnt

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

Er wohnt immer noch in der Nähe jenes Platzes, der nicht nur für sein Leben bestimmend werden sollte: Gerhard Hoffmann, Jahrgang 1946, aufgewachsen in München, in Berlin gelernter Politikwissenschaftler, gründete am 1. April 1977 im Berliner Bezirk Schöneberg das Café „Anderes Ufer“ – den ersten gastronomischen Betrieb der Republik, in dem Schwule sich nicht hinter fett-plüschigen Gardinen versteckten, sondern offensiv Teil der alternativen, ja auch bürgerlichen Öffentlichkeit werden wollten. Hoffmann wurde mit seinem Lebensgefährten Reinhard von der Marwitz bekannt, als beide in Aufsätzen (u. a. für das „Kursbuch“) formulierten, dass Homosexuelle keinesfalls beabsichtigten, nach der proletarischen Weltrevolution als Relikte bürgerlicher Dekadenz zu verschwinden: Ein (lange) unerhörter Affront gegen alle Linken, die in jener Zeit Sexualität nur als Heterosexualität zu buchstabieren vermochten. Hoffmann ist heute Sprecher des Schwul-lesbischen Stadtfestes, das am Wochenende wieder rund um die Szenemeile Motzstraße in Schöneberg stattfinden wird. Performen wird er auch: als Gastgeber und Talkmaster auf dem „Wilden Sofa“.

taz: Sind Sie zufrieden mit der Homobewegung von heute?

Gerhard Hoffmann: Ja.

Warum?

Wenn man weiß, wie wenig Leute sich politisieren lassen, wenn man weiß, wie mühsam es ist, politisch aktiv sein zu wollen und zu können, wie schwierig es zugeht in so Kleingartenvereinen …

Homogruppen?

… wie schnell das Hickhack in solchen Vereinen losgeht, aus Eitelkeit und was weiß ich, bin ich doch überrascht, dass es eine solch immense Zahl von Gruppen, Organisationen und Vereinen gibt.

Ganz wie Mao forderte: Lasst tausend Blumen blühen?

Auf den will ich mich lieber nicht berufen, man weiß doch, welch Horror die chinesische Kulturrevolution gestiftet hat. Aber ich finde, dass es heute toll läuft. Homosexualität ist doch vorher behandelt worden, als müsste darüber geschwiegen werden. Und wer sich nicht daran hielt, stand plötzlich außerhalb der Gesellschaft. Das ist vorbei.

Viele Bewegungsschwule aus den Siebzigern verzweifeln heute, weil jetzt selbst die CDU sich allmählich mit der Homofrage auseinander setzt.

Ist das etwa kein Erfolg? Früher wäre das doch als Tabu verhandelt worden – mit der CDU zu sprechen.

Die Bewegung werde außerdem immer kommerzieller?

Diese Kritik interessiert mich nicht. Das sind Niederungen, in die ich mich nicht hineinbegebe, eine intellektuell drapierte Stammtischdiskussion ohne politische Grundlinie. Diejenigen, die das sagen, plappern dauernd was von kommerziell – ich wüsste viel lieber, für was die eigentlich kämpfen.

Wofür denn?

Keine Ahnung, wirklich keine. Wenn ich möchte, dass der Gesellschaft ein Thema vermittelt wird, bediene ich mich auch solcher Formen, die als kommerziell wahrgenommen werden können.

Wofür haben Sie gekämpft?

Dass wir als Schwule überhaupt gesehen werden, dass man nicht mehr die Nase rümpft, wenn wir etwas zu sagen haben. Klar, das war in den Siebzigern kein Konzept, das war auch Zeitgeist, zu tun, was zu tun ist. Kiffen, ficken. Nicht so wie heute, das hatte was von Aufbruch, von wilder Fantasie.

Für wen kämpften Sie?

Nur für mich. Ich habe früh lernen müssen, dass man sich nicht vom Willen einer Gruppe abhängig machen darf. In der Homosexuellen Aktion Westberlin kam mal einer auf mich zu und meinte: Wie kannst du nur in einem kleinbürgerlichen Magazin wie dem Kursbuch schreiben! Das müsse ich wieder zurückziehen. Statt dass die froh gewesen wären, dass unser Thema mal in einem Blatt auftaucht, das für Homosexuelles sonst keinen Sinn hatte … Nee, ich wollte mich nicht beugen, sonst hätte ich mich nicht entwickeln können.

Froh, dass die Siebziger vorbei sind?

Ach, es hat ja ziemlich Spaß gemacht, sich zu fetzen. Aber heute finde ich es besser. Wie hat sich das entwickelt. Inzwischen gibt es sogar eine Gruppe von schwulen Schuhplattlern. Verstehen Sie überhaupt, wie unglaublich das ist?

Was ist daran kaum zu glauben?

Dass heute Schwule und Lesben sich nur noch dann einschüchtern lassen, wenn sie es zulassen. Die schwulen Schuhplattler jedenfalls nicht. Klar, das kann man bizarr finden, aber wenn ein CSD in Altötting stattfindet, mitten im katholischen Kernland, ist es das, was wir angefangen haben. Beinah revolutionär. Auch in Bayern sind wir nicht mehr allein in München zu sehen.

Was ist am Schuhplatteln schwul?

Nix und alles. Weil auch Schwule Folklore mögen. Und sollen sie doch, was geht das andere an, was man mag? Die finden das offenbar gut – und dann fangen die an, ihre Umgebung zu homosexualisieren. Ist doch toll, oder?

Sie kennen die schwulen Szenen gewiss in- und auswendig. Können Sie sich noch auf eine CSD-Parade freuen?

Ja klar. Ich hatte zwar mal eine Phase, wo ich CSD-müde war, so Ende der Achtziger, glaube ich.

Erschöpft, immer und immer wieder mit Schwulem zu tun zu haben?

Nein, aber ich war einfach so müde. Nicht immer die gleichen Gesichter sehen. Wir hatten alle außerdem mit Leben und Tod zu tun – mit Aids. In meiner Generation leben doch nur noch wenige, die das überlebt haben. Das war doch ein Schock: Dass eine Identität, die so zentral an Sexualität geknüpft war und ist, plötzlich vom Tod bedroht war.

Was empfinden Sie heute, wenn Sie zu einem CSD gehen?

Eine gewisse Gelassenheit, manchmal auch ein Gefühl von Glück. Ich kann es jetzt genießen. Dass die Arbeit, die wir in den Siebzigern anfingen, weitergeht. Neue Generationen übernehmen jetzt die Arbeit, und sie machen es prächtig. Überall gibt es uns, und wo wir fehlen, werden wir bald da sein. Das ist sicher. Und ich bin zufrieden, weil Schwule und Lesben jetzt zusammen im Boot sitzen wollen, früher waren die Lesben ja nicht so politisiert.

Haben Sie Utopien?

Immer noch. Nicht mehr so blumige wie früher, mehr praktische. Dass das Klima für Homosexuelles noch offener, neugieriger wird. Und dass sich noch mehr trauen, sich dort zu engagieren, wo es ziemlich düster aussieht.

Wo?

In der CDU natürlich. Als Homo den Schwusos beizutreten, schön und gut – aber nicht gerade mutig. Das macht man, und dann ist auch gut so. Aber in der CDU als Schwuler oder als Lesbe aufzutreten, das heißt doch wohl, sich auf einen dornigen Weg zu machen. Zwangsläufig. Das ist für mich ein politischer Akt. Die alten Tage sind vorbei.

Kein Mitgefühl mit den Bewegungsschwestern einstiger Tage, die überall nur Verrat wittern?

Null.

Keine Spur?

Ich bin so frei zu sagen: Es hat sich gelohnt, und es wird sich weiter lohnen. Ob in Altötting oder bei der CDU oder, meinetwegen, bei den nordfriesischen Männerchören oder bei der Bundeswehr: Wir werden gesellschaftsfähig.

JAN FEDDERSEN, 46, ist taz.mag-Redakteur