Und im Foyer, da lacht Karl Marx

Sie wollen eine Alternative zur SPD und mehr soziale Gerechtigkeit. 500 Interessierte aus der ganzen Bundesrepublik trafen sich gestern, um über die Gründung einer neuen linken Partei nachzudenken

Die neue Organisation könnte progressive Ideen aller Parteien sammeln

AUS BERLIN ANNA LEHMANN

Das müsste Marx freuen – endlich war wieder ein Schwung von Leuten, die Veränderungen wollen, zu Gast. Lautet doch seine Botschaft, die das Foyer der Humboldt-Universität zu Berlin ziert, dass es nicht darum gehe, die Welt zu interpretieren, sondern sie auch zu verändern. 500 Menschen aus der Bundesrepublik drängten sich gestern in der Aula, vereint durch die Botschaft: „So geht es nicht weiter.“ Enttäuschte SPDler, frustrierte Gewerkschaftsfunktionäre, desillusionierte Arbeitnehmer und radikale Junglinke, die Morgenluft witterten, trafen sich, um über die Gründung einer „Wahlalternative“ zu beratschlagen.

Die SPD sei ein hoffnungsloser Fall, glaubt der einstige IG-Medien-Vorsitzende Detlef Hensche: „Auf Erneuerung in der SPD zu setzen, ist schiere Illusion.“ Diejenigen, die es zuletzt versucht hatten, waren rausgeflogen, so wie Bayerns Rebellen Thomas Händel und Klaus Ernst. Auch die Gründer der süddeutschen „Alternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ (ASG) waren nach Berlin gereist und hatten ihre Anhänger mitgebracht.

Einem solchen Ansturm von Leuten war das knarrende Holzgestühl des Saals zuletzt im Spätherbst ausgesetzt, als hunderte Studenten den Unibetrieb lahm legten. Die Streikbewegung verlor sich nach den Weihnachtsferien rasch, weil der Frust allein nicht ausreichte, um die Studenten zusammenzuhalten.

Diese Gefahr sehen auch die Initiatoren der Wahlalternative, weshalb sie den Unmut möglichst rasch kanalisieren wollen – im September soll über die Gründung einer wählbaren Alternative entschieden werden. Am 3. Juli wird dafür eigens ein Verein aus der Taufe gehoben. Dazu schließen sich Wahlalternative und ASG zur „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ zusammen und lassen ihre Mitglieder über die Parteigründung abstimmen.

„Das Projekt ist auf die Bundestagswahlen 2006 ausgerichtet“, meinte Axel Troost, einer der Väter der Wahlalternative. Falls die Bundesregierung vorher handlungsunfähig sei, dann werde man entsprechend reagieren.

Es scheint, dass die Parteigründer nicht mehr aufzuhalten sind. Zauderer wie Detlef Hensche, der sich sorgte, dass die Entwicklung zu hastig vonstatten gehe und das Projekt zu wenig in der Gesellschaft verankert sein könnte, wurden überrollt. Denn auch die über 70 Regionalgruppen, die sich gegründet haben, warten auf den konkreten Fahrplan.

„Bisher haben wir nur über Organisatorisches gesprochen, jetzt sind wir gespannt, wie es weitergeht“, sagt Annerose Gulbins aus Dresden. Darüber lässt sich trefflich diskutieren. Während die entscheidende Frage für eine Teilnehmerin aus Berlin lautet: „Wolln wa nu ne Reform oder ne Revolution?“, ist das für die Hamburger Herren im Anzug „die unspannendste Frage überhaupt“. Sie setzen auf Sachthemen. „Die Klammer heißt Kompetenz.“

Für eine Partei, die als Sammlungsbewegung auftreten will, sind solche unverbindlichen Vorgaben ideal, denn dahinter lassen sich fast alle versammeln, die an diesem Tag in den Saal passen.

Ingo Mayer etwa ist Christ und seit 1998 CDU-Mitglied. Jetzt ist der Vertreter vom Arbeitnehmerflügel der Christdemokraten auf dem Sprung in die Wahlalternative, denn: „Die CDU hat sich von ihren christlich-sozialen Ursprüngen entfernt.“ Oder Heiner Fechner von der PDS-Gruppe in Trier: „Die neue Partei könnte progressive Ideen aller Parteien und Initiativen einsammeln.“ Das tut sie bereits, das von der Wahlalternative vorgeschlagene Positionspapier vereint Tobin-Steuer, Arbeitszeitverkürzungen, Sozialstaat und Aufbau Ost in schöner Harmonie.

Für jeden ist etwas dabei. So muss es sein, schließlich will die „Wahlalternative“ ja auch mit möglichst vielen zusammenarbeiten. Von einer Partei ganz „neuen Typs“ ist die Rede. Deshalb legen sich die Parteigründer auch nicht fest, ob sie eine linke Partei werden wollen. „Das wäre eine Verengung“, sagt Helge Meves. Die Gretchenfrage laute: „Neoliberalismus oder nicht – so einfach ist das“, stellt Meves lapidar fest. So ließen sich selbst die antiparlamentarischen Reflexe der Globalisierungskritiker besänftigen. Attac-Vertreter Peter Wahl fordert denn auch: „Wir müssten zusammenarbeiten.“

Nur die PDS, die erwähnt niemand. Diese ruft bei den zumeist aus dem Westen der Republik angereisten Teilnehmern Abwehrreflexe hervor, wittern sie doch immer noch das Erbe des Stalinismus. Dabei könnte man hier und heute miteinander reden, die Sozialisten sind zahlreich vertreten: „Ich beobachte das, aber für mich ist die Wahlalternative keine Alternative“, sagt Christoph Mürdter von der Wiesbadener PDS. „Die sind einfach nur links von der SPD. Viele fordern nur den Sozialstaat der 70er zurück.“ Er prophezeit, dass die Wahlalternative schon 2006 wieder verschwinde, dann nämlich, wenn die SPD in die Opposition gehe und wieder links werde.