Kopftuch und Gesetze vor Gericht

Gefährden Kopftücher den Schulfrieden? Die Tuch-Gesetze von Baden-Württemberg und Niedersachsen müssen heute vor dem Bundesverwaltungsgericht bestehen

BERLIN taz ■ Annette Schavan ist nur verhalten zuversichtlich: „70 zu 30“, so schätzte die Kultusministerin Baden-Württembergs (CDU) gegenüber der taz die Chance ein, dass das Bundesverwaltungsgericht in ihrem Sinne entscheidet. Heute geht der Kopftuch-Streit vor dem Leipziger Gericht in eine neue Runde. Hätte Schavan Erfolg, dann hielte das Gericht ihren Entschluss, die Kopftuch-tragende Lehrerin Fereshta Ludin nicht in den staatlichen Schuldienst zu übernehmen, vor dem Hintergrund eines neu verabschiedeten Kopftuch-Gesetzes für gerechtfertigt.

Die für eine Politikerin ungewöhnlich vorsichtige Schätzung hat einen ernsten Hintergrund: Mehrere namhafte Verfassungsrechtler haben bereits die Verfassungsfestigkeit ihres frisch verabschiedeten Kopftuch-Gesetzes öffentlich bezweifelt.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im September vorigen Jahres einer Klage der muslimischen Lehrerin Ludin stattgegeben. In einem heiß umstrittenen Urteil hatte es verfügt, dass der Staat die Religionsfreiheit der Lehrerin nur auf der Grundlage eines Landesgesetzes einschränken dürfe. Baden-Württemberg hatte sich ebenso wie Niedersachsen, Bayern, das Saarland, Hessen und Berlin schnell für ein Gesetz entschieden. Baden-Württemberg und Niedersachsen verabschiedeten ihre Gesetze bereits am 1. und am 28. April 2004, gestern zog das Saarland nach.

Eine Frage, die das Verwaltungsgericht beschäftigen wird, ist die nach der Gleichbehandlung der Religionen. Das Verfassungsgericht hatte festgelegt: Eine Dienstpflicht, die religiöse Kleidung aus der Schule ausschließe, könne „nur begründet und durchgesetzt werden (…), wenn Angehörige unterschiedlicher Religionen dabei gleich behandelt werden“. Dass aber die Nonnentracht aus der Schule verschwindet, wollte die baden-württembergische Landesregierung auf keinen Fall. Zudem fand Annette Schavan, dass ja gerade die politische Symbolik des Kopftuches gefährlich sei und nicht die religiöse.

Baden-Württemberg verbietet nun also, „politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen“ abzugeben, die „geeignet sind, den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden“. In einem weiteren Satz werden christliche und abendländische Symbole von diesen friedensgefährdenden Bekundungen ausgenommen, weil sie dem „Erziehungsauftrag der Landesverfassung“ entsprechen. Die Ex-Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz und Ernst-Wolfgang Böckenförde etwa sehen damit das Gleichbehandlungsgebot verletzt. „Wenn sie die Nonnentracht wollen, müssen sie Kopftücher in Kauf nehmen“, erklärte Mahrenholz in der Anhörung des Baden-Württembergischen Landtages zum Kopftuch-Gesetz.

Niedersachsen hat den Bedenken der Verfassungsrechtler Gehör geschenkt, und die Ausnahmeklausel für abendländische Bekundungen aus seinem Gesetz wieder gestrichen. Niedersachsen hatte der konvertierten Lehrerin Iyman Alzayed die Einstellung verweigert. Ihre Klage wird heute Nachmittag vom selben Senat des Bundesverwaltungsgerichts im Anschluss an den Fall Ludin verhandelt.

Außer der Verfassungsfestigkeit der Gesetze muss das Gericht eine weitere Frage klären: Weder Ludins noch Alzayeds Kopftuch haben bisher den „Schulfrieden gefährdet“, wie die Gesetze es formulieren. Im Gegenteil, die SchülerInnen von Alzayed demonstrierten für ihre Einstellung und gegen die niedersächsische Schulministerin. Ob man diese Einzelfälle also schlicht unter ein solches Generalgesetz fassen kann, ist ebenfalls offen. Es kann sein, so gibt der Anwalt der Lehrerinnen, Hansjörg Melchinger, zu bedenken, dass das Gericht diese Fragen erst einmal von der Vorinstanz klären lassen will. Mit einem heutigen Urteil wird in beiden Fällen nicht gerechnet.

HEIDE OESTREICH