Das entlaufene Kamel

Großartiger Himmel über der Wüste: Der Film „Ässhäk – Geschichten aus der Sahara“ von Ulrike Koch erweckt Misstrauen gegen schöne Bilder fremder Völker

Es gibt unterschiedliche Arten, von fremden Völkern im Film zu berichten. Man kann sie besuchen, eine Weile mit ihnen leben und die eigene Fremdheit in der anderen Kultur betonen. Man kann vom eigenen Interesse sprechen, warum man eben dahinfahren und über dieses Volk einen Film machen wollte, und dabei auch daran erinnern, dass das, was man auf der Leinwand sieht, ein Arrangement ist für die Kamera, die da steht, und dass jede Kamera, die filmt, die Situation, die sie filmt, verändert. Oder aber man tut so wie in der um Objektivität bemühten klassischen Auslandsreportage, als gäbe es gar keine Kamera, keinen Regisseur, der von außen kommt und die Sprache der Gefilmten oft nicht mal versteht, und als sei man als Regisseur quasi der allwissende Erzähler – dann legt man unter den Film einen durchgehenden Off-Text, in dem die politische, wirtschaftliche und soziale Lage erklärt wird, und illustriert das mit meist eher kurzen Begegnungen mit Einheimischen und Archivmaterial.

Manche machen auch mit schönen Bildern fremde Völker zur Projektionsfläche ihrer eigenen Wünsche nach dem Anderen, wie Ulrike Koch in ihrem Film „Ässhäk – Geschichten aus der Sahara“. Ulrike Koch ist viel herumgekommen. Sie war Casting Director bei Bertoluccis „Der letzte Kaiser“ (1984), Regieassistentin bei Ulrike Ottingers „Johanna d'Arc of Mongolia“ (1988) und Nikita Michalkovs „Urga“ (1990). Sie hat in China und der Mongolei gedreht, und ihr Dokumentarfilm „Die Salzmänner von Tibet“ (1996/97) wurde mehrfach preisgekrönt.

Ihr Film ist voller schöner Bilder und verzichtet auf jeden Off-Kommentar. Dieser Verzicht, dieses Vorgeben, als ob die Welt, die hier gefilmt wird, authentisch wäre, als gäbe es keine Filmcrew, die das alles arrangiert, wird zwar als „respektvoll“ ausgewiesen – man kann es aber auch anmaßend finden. Man misstraut diesen schönen Bildern, dem großartigen Himmel über der Sahara usw., vielleicht auch, weil sie so häufig auf Arte zu sehen sind.

Fast scheut man sich zu sagen, dass man den Film touristisch findet, weil man ja nichts gegen die gefilmten Tuareg-Protagonisten hat, die vielleicht ja mit großer Freude mitgemacht haben, denen das Bild ja vielleicht gefällt, das der Film von ihnen entwirft – egal: kleine Geschichten strukturieren den Film.

Ein Tuareg-Nomade sucht nach seinem entlaufenen Kamel, der Geschichtenerzähler Ibrahim Tshibrit, erklärt, dass seine „Lügengeschichten“ irgendwann zur Wahrheit würden, der weise Marabut bewahrt vorislamische Gebräuche und behütet eine jahrhundertealte Moschee, und die Frauen – last but not least – machen auf einsaitigen Geigen seltsame Musik. Über die konkrete Gegenwart der Targi, ihre Ökonomie, die Folgen ihres Aufstands Anfang der 90er, ihre politischen Ziele bei den Verhandlungen mit den Regierungen Malis und Nigers erfährt man kaum etwas. Dafür gibt es Zeitloses: „Die Targi führen uns ein in eine Welt, wo ‚Ässhäk‘ – der Respekt vor anderen Menschen, die Geduld und ein achtsames Miteinander – als oberstes Leitmotiv gelebt werden“, heißt es im Presseheft. Das ist sehr schön, dürfte aber so allgemein formuliert für alle großen Religionen gelten.

DETLEF KUHLBRODT

„Ässhäk – Geschichten aus der Sahara“ läuft im Kant-Kino und in den Hackesche Höfen