Neuer Mantel für alte Idee

Rechts-Senat und Hamburger Wirtschaft vereinbaren Ausbildungskonsens. Regierung stellt Berufsschulreform mit neuer Rechtsform in Aussicht, dafür versprechen Kammern mehr Lehrstellen. Harsche Kritik von Gewerkschaften und Opposition

„Die berufliche Bildung muss weit über die betrieblichen Interessen ausgerichtet sein“: DGB-Chef Erhard Pumm

Von EVA WEIKERT

Der Rechts-Senat hat der Hamburger Wirtschaft zugesagt, die Berufsschulen zum Schuljahr 2006/2007 flächendeckend umzugestalten und sie aus der unmittelbaren Trägerschaft der Stadt zu entlassen. Dafür verspricht die hiesige Wirtschaft neue Lehrstellen. Bei der gestrigen Unterzeichnung eines „Ausbildungskonsenses“ im Rathaus kündigte Bürgermeister Ole von Beust (CDU) an: „Wer jetzt einen Ausbildungsplatz sucht, der kriegt seine Chance.“ Ohne die avisierte Berufsschulreform zu konkretisieren, lobte von Beust, diese böte „einen qualitativen Sprung zum Wohle der jungen Leute“. Während die Wirtschaft einen „Durchbruch“ feierte, kritisierte DGB-Chef Erhard Pumm „die Verquickung“ der Schulreform mit dem Ausbildungspakt als „völlig indiskutabel“.

In dem Papier ohne Vertragspflicht kündigen Handels- und Handwerkskammer sowie die Unternehmensverbände Nord an, „allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen jungen Menschen“ ein Angebot zu machen. Um Absolventen vollzeitschulischer Ausbildungsgänge bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu bieten, solle deren Abschluss mit Kammerzertifikaten „geprüft“ werden. Zugleich hält der Konsens den Willen der Wirtschaft fest, in den Steuerungsgremien der Berufsschulen mitzuarbeiten.

Im Gegenzug stellt die Stadt die Überführung ihrer 48 Lehrstätten in eine neue Trägerschaft in Sicht. Die Rechtsform lässt der Konsens offen. Er vereinbart lediglich die „gleichberechtigte Teilhabe der Wirtschaft unter Beachtung des Grundsatzes der staatlichen Gesamtverantwortung“. Kurz: Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig (parteilos) behält das letzte Wort.

Eine Projektgruppe soll die nebulösen Vereinbarungen bis Oktober präzisieren, schon im Schuljahr 2005/2006 soll die Reform an einzelnen Schulen in „Vorlauf“ gehen, bevor ein Jahr später flächendeckend umstrukturiert wird. Als Ziele wurden gestern eine stärkere Schulautonomie durch Budget- und Personalhoheit genannt. Wie Dinges-Dierig betonte, ist eine Stiftung als Rechtsform nicht vom Tisch. Das Modell ihres Vorgängers Rudolf Lange (FDP) träfe zwar „nicht auf 100-prozentige Zustimmung“, so die Senatorin. Gleichwohl sei es „sinnvoll, Erkenntnisse daraus mitzunehmen“.

Das Stiftungsmodell würde der Wirtschaft mehr Einfluss auf die Lehrpläne geben und sieht darum ein von Wirtschaftsvertretern dominiertes Kuratorium vor sowie Lenkungsausschüsse anstelle der Schulkonferenzen, in denen Betriebsvertreter die Mehrheit stellen. Weil die Wirtschaft mit neuen Lehrstellen „ihre Verantwortung für die Jugend ernst nimmt“, wolle der Senat seine Verantwortung für ein „wirtschaftsnäheres“ Ausbildungssystems in den Schulen ebenfalls „ernst nehmen“, so Dinges-Dierig.

Gewerkschaften und Opposition verurteilten den Konsens. DGB-Chef Erhard Pumm mahnte, die berufliche Bildung müsse „weit über die betrieblichen Interessen hinaus ausgerichtet sein“, sonst hätten „junge Menschen in der Arbeitswelt keine Chance“. Und die SPD monierte, die Verknüpfung des Ausbildungspaktes mit einer Berufsschulreform als „unnötiges Eingeständnis an die Wirtschaft“. Mit dem Papier „kommt die alte Idee im neuen Mäntelchen wieder“, rügte auch die GAL. Zwar werde die Rechtsform noch nicht genannt, aber Reformziel sei weiter ein „wirtschaftsdominierter Schulträger“.

Dieser Warnung schloss sich auch der Deutsche Lehrerverband an: „Die Gleichberechtigung der Wirtschaft in den Schulen ist verfassungsrechtlich bedenklich.“