Platte im Westen und Futurismus im Ostseebad Binz

Eine Ausstellung im Kunsthaus vergleicht erstmals das Bauen in Ost und West. Dabei wird klar, dass die oft ungeliebte Nachkriegsmoderne weitgehend unabhängig vom Standort funktionierte. Die Kaufhäuser sahen verblüffend ähnlich aus, und selbst das beim Wiederaufbau dokumentierte Geschichtsbewusstsein wirkt gar nicht so verschieden

Als erstes Foto in der Ausstellung stellt sich den Besuchern das Bild von der Hissung der Sowjet-Flagge auf dem Reichstag über dem völlig zerstörten Berlin in den Weg. Es erinnert drastisch daran, dass Wiederaufbau die primäre Aufgabe der deutschen Nachkriegsarchitektur war. Auf der Rückseite der gleichen Wand im Kunsthaus dann Bilder vom Niederreißen der Mauer, dem Ende der 40jährigen Existenz zweier deutscher Staaten.

Dieses Ende markiert auch den Schlusspunkt des Rundgangs durch die zum ersten Mal versuchte vergleichende Zusammenschau dessen, was in beiden Ländern gebaut wurde. Dabei ist der Titel „Zwei deutsche Architekturen“ gewollt provokant, denn auch wenn es die grundverschiedenen Staatssysteme nahe legen, kann man kaum gänzlich separate Architekturen ausmachen. Eher schon bleibt – beispielsweise anhand der Neubauten der russischen und der US-amerikanischen Botschaft – die Frage, ob es nach 1945 überhaupt eine speziell deutsche Architektur gegeben hat.

Fragen zu stellen, ist allerdings die erklärte Absicht dieser Ausstellungspremiere. Unerwarteter Weise wird das architekturtheoretisch so wichtige Thema nicht als nationale Selbstvergewisserung angegangen, sondern als Wanderausstellung für Auslandspräsentationen, erstellt im Auftrag der ifa, dem Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart.

Dass die metallenen Bildtafeln, Archivschränke und Holzmodelle jetzt überhaupt und zuerst in Hamburg zu sehen sind, liegt wesentlich an der hiesigen Hochschule für Bildende Künste: An deren Fachbereich Architektur wurde das Projekt in mehrjähriger Arbeit zusammen mit Studenten entwickelt. Gegliedert ist die Ausstellung nach Kategorien wie Kirchen oder Kulturhäuser oder Massenwohnungsbau, als zentrale Achse werden Architekturdiskurse unter Titeln wie „Traditionalistischer Wiederaufbau“, „Individualisierung der Platte“ oder „Kritischer Kontextualismus“ vorgegeben. Nach diesen farbig bestimmten Untergruppen werden in einheitlichem Schwarz-Weiß Bauten aus Ost und West mit Fotos und Plänen vorgestellt – der ehemaligen Ländergröße entsprechend etwa im Verhältnis eins zu drei.

Manches scheint in Ost und West zum Verwechseln gleich, so die Kaufhäuser und die Großsiedlungen. Aber auch beim vereinfachten und frei erfundenen historisierenden Wiederaufbau gibt es überraschend ähnliche Konzepte. Schon ohne ausgiebiges Materialstudium sind interessante Entdeckungen zu machen: Das Ostberliner Kino Kosmos beispielsweise oder die futuristischen Betonschalenbauten von Ulrich Müther. Dessen poppige Rettungsschwimmerstation im Ostseebad Binz ist erhalten, während die „Ahornblatt“ genannte Kantine in Berlin Mitte vor kurzem leider abgerissen wurde.

Das Bewusstsein für die Leistungen der Nachkriegsarchitektur sei noch nicht besonders geschärft, betonen die beiden Kuratoren, Simone Hain für den Bereich der DDR und Hartmut Frank für die BRD. Auch die Archivlage ist schlecht: Mangels einheitlicher Sammlungen gibt es in Ost und West hauptsächlich in Privathänden befindliche Nachlässe einzelner Architektenbüros – und die Bauakademie der DDR wurde 1990 kurzfristig aufgelöst. Hajo Schiff

„Zwei deutsche Architekturen 1949 – 1989“, Kunsthaus, Klosterwall 15; Di–So 11–18; bis 29. August. Katalog 226 Seiten, 25 Euro