Ansteckend und leicht entflammbar

Heute und morgen kommt die olympische Flamme auf ihrem Weg um die Welt auch in Deutschland vorbei. Das olympische Symbol trugen andernorts Helden wie Pelé oder Nelson Mandela. Hier: Bernhard Brink (Schlager), Markus Schächter (ZDF), Sabine Christiansen („Christiansen“). Trotzdem schön

VON KLAUS RAAB
UND JAN FEDDERSEN

13. Juni, Sonntag, Rio de Janeiro. Ein 63-jähriger Mann namens Édson Arantes do Nascimento brach in Tränen aus. Vom Himmel regnete es nieselig – und Brasilien weinte ein wenig mit. Denn der Mann, der sich anrühren ließ, ist dort ein Volksheld, den die Welt nur unter dem Namen Pelé kennt. Es war der Moment, als der vielleicht größte Fußballer aller Zeiten die olympische Fackel bekam und 400 Meter mit ihr lief – auf dass sie ein anderer weitertragen würde. Wie in Trance sagte der Mann später: „Ich bin froh, wenigstens auf diese Art einmal bei Olympia dabei zu sein. Ich bin sehr früh Profi geworden und konnte nie an den Spielen teilnehmen.“

Hunderttausende säumten die Copacabana, um dem Lauf der olympischen Flamme zuzuschauen. Auch in anderen Ländern das gleiche Bild: Wo die am 25. März im griechischen Olympia mit einem Hohlspiegel von der Sonne entzündete Fackel auftauchte, herrschten Begeisterung, Rührung und Enthusiasmus. So auch einen Tag vor Rio de Janeiro, als die globale Wanderschaft der Fackel in Kapstadt Station machte – und Nelson Mandela, in seinem Land nicht minder populär als Pelé in Brasilien, seine Fackel auf dem Innenhof von Robben Island angezündet bekam.

Allerorts Gesten mit versöhnender Symbolkraft: In Neu-Delhi, wo die Fackel am 10. Juni getragen wurde, sorgten die indischen Gastgeber dafür, dass eine Delegation aus Pakistan an der Zeremonie teilnehmen konnte. Und in Peking, am 8. Juni, kreischten die (meist von der Partei delegierten) Menschen, wenn die Flamme vorbeigetragen wurde, lauter, als der Partei lieb war: Als sei es ein Popkonzert ohne staatliche Aufsicht.

Die Tournee der olympischen Flamme, die seit drei Monaten durch die Welt getragen wird, auf Nachtflügen in einer Boeing geschützt in einem gläsernen Spezialbehälter, auf dass sie nicht verlösche: eine Erfolgsgeschichte. „In Südafrika“, so sagt der Filmemacher Henno Osberghaus, der für einen deutschen Privatsender einige Stationen des globalen Fackellaufs begleitete, „und in Mexico City oder Rio de Janeiro war man glücklich – weil man das Gefühl hatte, endlich mit der Welt verbunden zu werden.“ Sport als glaubwürdiges Betätigungsfeld, auf dem auch Afrikaner und Lateinamerikaner der restlichen Welt etwas vormachen können – sei es in der Leichtathletik, beim Boxen, im Volleyball oder beim Judo. Die olympische Flamme, der eine „Idee von Magie“ zugrunde liege (Osberghaus): eine Signatur der Internationalität und zugleich ein ironisches Schnippchen, das den Erfindern des olympischen Fackellaufs geschlagen wurde.

Denn es war der Sportfunktionär Carl Diem, der vor den Sommerspielen 1936 in Berlin den nationalsozialistischen Machthabern vorschlug, die Flamme direkt in Olympia entzünden zu lassen, um sie per Staffellauf nach Berlin tragen zu lassen. Und Propagandaminister Joseph Goebbels war sofort begeistert. Mit dieser Marketingaktion wurde die Ambition der Nazis unterstützt, der Welt Deutschland als wieder erstandenes, vollendetes Griechentum zu präsentieren: sauber, weißhäutig und sportkriegsbereit. Ein in jeder Hinsicht völkisches Begehren – in das, beispielsweise, so gar nicht passte, dass bei den Spielen selbst der afroamerikanische Läufer Jesse Owens drei Goldmedaillen gewann.

Seither ist in Deutschland alles verpönt, was eine gewisse überindividuelle Feierlichkeit verströmt – Lichtdome, Lichterketten und Fackelläufe ohnehin. Was man hierzulande kaum weiß, ist, dass ebendiese Insignien des Pompösen just dort geliebt werden, wo man Kontakt zur Welt sucht – weil man von ihr ausgeschlossen war. In Australien war die Leichtathletin Cathy Freeman höchst populär; keine Frage, dass sie eswar, die bei den Olympischen Sommerspielen 2000 in Sydney die Ehre erhalten sollte, als Letzte des Fackellaufs die Flamme im Olympiastadion zu entzünden: Dass sie (auch sportlich) als Kind von Aborigines eine Figur von symbolischerem Rang war als, beispielsweise, meist wohlhabende Reiter, machte sie nur noch verehrungswürdiger. Freeman selbst war in diesem Sinne die beste Kämpferin wider den Rassismus, den die Nachfahren australischer Ureinwohner immer noch von der weißen Mehrheitsgesellschaft ertragen müssen.

Das können die Erfinder des Fackellaufs, die Deutschen Diem, Goebbels & Co. nie gewollt haben: dass der olympische Fackellauf nur als multikulturelle Veranstaltung funktioniert. Nirgendwo könnte die olympische Idee, an der Kapitalinteressen vom Umfang mehrerer Milliarden hängen, Erfolg haben, würde sie völkisch definiert: die Lichterkette als Zeichen einer gelingenden Kommunikation – und sei es über den Sport, der am ehesten das Medium für halbwegs gleiche Rivalitätsverhältnisse ist.

Nur in den reichen Ländern – wie Deutschland – dekliniert man den urolympischen Satz, dass das Dabeisein alles sei, als nette Dreingabe bei der Jagd nach Medaillen. Für die zwei Athletinnen aus Afghanistan dagegen, die im August (gesponsert vom Lausanner Internationalen Olympischen Komitee) in Athen an den Start gehen, ist dieser Satz so wahr wie kaum ein anderer – wahrgenommen zu werden nicht als Exoten, sondern als Teil einer globalen Gesellschaft, die (meist) nach den Regeln von Fairness und Stoppuhr funktioniert.

Und nur in den wohlhabenden Nationen stößt man sich gern und ungehört am Kommerzialismus der Spiele, am Profitum der Sportler, an den Summen, die es sich Fernsehanstalten oder Multis wie Samsung oder Coca-Cola kosten lassen, beim besten Imageträger der Welt, dem Sport, ins Geschäft zu kommen: Sie fast allein machen überhaupt möglich, dass der olympische Sport nicht wie früher nur als Ereignis für (selbstverständlich materiell abgefederte) Amateure zelebriert werden kann – sondern als Möglichkeitsforum für alle, die sich sportiv schinden wollen.

Multis wie die Genannten waren es auch, die gegen die einst ehernen Amateurregeln kämpften: Berufssportler waren vor deren Fall selten Helden – solche, mit denen sich ein Land identifiziert, Frauen und Männer aus den Arbeiterklassen der Welt, die es mit Muskelkräften und motorischem Raffinement den Bürgerlichen mal zeigen konnten. Und klar auch, dass die multinationalen TV-, Getränke- oder Mediaunternehmen ein Interesse daran haben müssen, dass alle Länder mitmachen, und zwar alle ähnlich gut behandelt.

In München und Berlin wird die olympische Fackel heute und morgen Station machen. In Bayern wird man sich gern erinnern, dass man 1972 einen Gegenentwurf zu den Spielen 1936 in Berlin inszenieren konnte – gar mit einer leicht hippiesk-swingenden Note. Aber eine Geste der Versöhnung, eine Akt von Multikulturalität? Fehlanzeige. Keine deutschen Sportler türkischer oder usbekischer oder sonstwie eingewanderter Herkunft. An den Start gehen neben urdeutschen Olympiasiegern Halbprominente wie Bernhard Brink (Schlager), ZDF-Intendant Markus Schächter oder Sabine Christiansen („Christiansen“) – selbstreferenziell und typisch deutsch. Fehlte nur noch Udo Walz.

In vier Jahren, so wird in olympischen Kreisen wie in Konzernzentralen in Seoul oder Atlanta diskutiert, soll die Fackel, vom griechischen Festland aus kommend, auf dem Weg nach China gleich in der Nachbarschaft Station machen: in Jerusalem, wo eine jüdisch-palästinensische Staffel liefe. Ein wenig Sponsorengeld für die Sportler beider Länder wird gewiss behilflich sein: Es wäre kein schlechter Frieden, der mit Kommerz etwas näher gebracht würde.