Drei Genossen trotzen dem Trend

Scharenweise laufen den Sozialdemokraten die WählerInnen weg, viele GenossInnen geben enttäuscht ihre Parteibücher zurück. So weit, so bekannt. Doch trotz Agenda 2010 und Hartz IV treten tatsächlich noch Menschen in die SPD ein. Zum Beispiel Gerd Fuchs, Miriam Noa und Stephan Meyer

VON STEFAN ALBERTI

Neue Mitglieder? In der SPD? Klingt wie ein Scherz, ist aber wahr: Fast 400 neue Parteigenossen verzeichnet der Berliner Landesverband im ersten Halbjahr, demgegenüber stehen aber knapp 500 Austritte. Die Alten gehen, meist zwischen 55 und 65 Jahre alt, die Neuen kommen, meist 25 bis 35. Man hätte mehr enttäuschte SPDler erwartet: Vor wenigen Tagen erschien wieder eine dieser Umfragen, die sich bei den Sozialdemokraten am liebsten keiner mehr angucken würde. Nur jeder Vierte will bei der nächsten Bundestagswahl noch für SPD stimmen, nie war der Wert schlechter. Bei Prognose fürs Abgeordnetenhaus sieht es noch mieser aus.

Es war diese Talfahrt, die Gerd Fuchs im Frühjahr das Anmeldeformular ausfüllen ließ. Gegen den Trend habe er gehen wollen. Gegen Kritik an Reformen, die er für unausweichlich hält. Am Kurs der SPD mit der Agenda 2010 und Hartz IV, mit ihren Einschnitten und Kürzungen, da führe kein Weg dran vorbei.

Bei Fuchs beginnt eine Suche nach Erklärungen. Wieso auf ein sinkendes Schiff steigen und dafür noch Monatsbeiträge zahlen? Fuchs ist eins von drei Neumitgliedern, die der SPD-Pressesprecher für diese Suche vermittelt hat. Zwei Männer und eine Frau zwischen 22 und 35, die die Sozis offenbar für repräsentativ für die Neuzugänge halten.

Der Jurist

Der Weg zu Fuchs führt in den 3. Stock eines Seitenflügels nördlich vom Rosenthaler Platz in Mitte. Die Tür öffnet sich zu einem weiten Büro. Parkett am Boden, moderne Kunst an der Wand, für die Pause ein Kicker. Fuchs – Jeans, blaues „NYPD“-T-Shirt – ist Justiziar einer Marketingfirma, arbeitet nebenher als selbstständiger Anwalt.

Das Neumitglied einer SPD, die das „Steigerlied“ ausgekramt hat und wieder das Genossen-Du betont, bittet in den „Meeting Room“. Sagt später, dass es bei den jetzigen Kürzungen noch „Optimierungsmöglichkeiten“ gebe. Ist das, optisch und verbal, in Berlin-Mitte die neue Mitte, die Gerhard Schröder immer suchte? Könne sein, sagt Fuchs. Er hat das Büro nicht eingerichtet, aber das Umfeld scheint ihm nicht zu missfallen.

Fuchs kommt aus Köln, ist seit fünf Jahren in Berlin. Sein Vater, evangelischer Pfarrer und eher SPD-nah, studierte hier schon in den 60ern, der Opa war Bauarbeiter. Fuchs sagt, er verstehe die Älteren, die massenhaft die SPD verlassen. Die hätten schließlich selbst Mitbestimmung, kürzere Arbeitszeiten und Sozialleistungen erstritten. Aber das ist für ihn ein „Luxus, den wir uns gesellschaftlich nicht mehr leisten können“. An Reformen komme keine Partei vorbei – „irgendwo muss das Geld ja herkommen“. Bei der SPD vertraut er, dass dabei möglichst viel ihrer Grundwerte von Solidarität und Gerechtigkeit einfließen. Für einen wie ihn, mit Haupt- und Nebenjob, ist die 40-Stunden-Woche sowieso nur eine virtuelle Größe.

Was ist als Alternative zu Kürzungen mit höherer Erbschaftsteuer, was mit Vermögensteuer, wie sie Linke fordern? „Wenn man an den Nettoverdienst noch mal rangeht, dann braucht man ja gar nicht mehr arbeiten gehen, dann ist eh alles in der Tasche des Staates.“ Das hört sich an wie FDP. Tatsächlich sagt er, er müsste von seinem Job her Liberaler sein, müsste eigentlich in die FDP gehen.

Aber da ist dieses Gefühl eines 35-Jährigen, der in Nordrhein-Westfalen groß geworden ist und dort nichts als SPD-geführte Regierungen erlebt hat. „Vielleicht ist es aus Tradition. Aber da ist einfach dieses Gefühl, das die SPD das richtig macht.“ Wenn die Wirtschaftslage in zehn Jahren anders ist, „bin ich der Erste, der wieder nach der 35-Stunden-Woche ruft.“ Aber nicht im Moment.

Die Studentin

Die Suche nach Erklärungen führt weiter, in ein Café am Potsdamer Platz zu Miriam Noa, einer schlanken Frau im Nadelstreifenblazer. Noa studiert an der Humboldt-Uni Musikwissenschaften. Im Winter hat sie nur einen Steinwurf vom Café entfernt gegen die rot-rote Sparpolitik bei den Unis demonstriert. Da war sie fünf Jahre bei den Jusos – jenem SPD-Nachwuchs, der ganz vorne gegen die Agenda 2010 der Mutterpartei stand. Und doch ist Noa im April in diese SPD eingetreten. Das sei überfällig gewesen, auch aus Tradition. Der Vater, Staatsanwalt, ist in der Partei, der Großvater habe als SPDler gegen die Nazis gekämpft. „Das verpflichtet schon.“

Grundsätze der Sozialdemokratie seien doch nicht verloren gegangen, sagt Noa, nur gebe es derzeit nicht so viel auszuteilen. Sie kann sich nicht vorstellen, was passieren müsste, um sie von der SPD wegzubekommen. Sie gehe doch rein, um etwas ändern zu können – „nur zu meckern finde ich daneben“. Sicher, sie habe auch über die PDS nachgedacht. Früher, heute nicht mehr. „Man muss bestimmte Ideale vielleicht nicht aufgeben, aber doch hintenanstellen – die Welt ist nicht so einfach gestrickt, wie man sich das als Jugendlicher vorstellt.“ Miriam Noa ist 22.

18 S-Bahn-Minuten weiter. Neukölln, eine Parallelstraße zur Hermannstraße. Keinen Bezirk trifft die Hartz-IV-Reform mehr. Die Arbeitslosenquote liegt über 23 Prozent. Es ist die höchste in ganz Berlin. Stephan Meyer wohnt in einem oberen Stockwerk eines jener für die Gegend so typischen Häuser, die ihre besten Tage lange hinter sich haben, aber immer noch mit verzierten Türen und Treppengeländern beeindrucken. Nicht weit von der Haustür vertrinkt einer Erinnerungen an Träume, die lange vor Hartz IV geplatzt sind. Oben vor der Wohnungstür liegt Post auf der Fußmatte. Ein Umschlag. Das Parteibuch.

Der Jungunternehmer

Meyer kam genauso wenig wie Fuchs und Noa über das örtliche Parteibüro zur SPD, trat wie sie per Internet ein. „Eine Bauchentscheidung“, sagt er, „ich wollte Farbe bekennen.“ Farbe bekennen zu einer Partei, deren Politik in seiner direkten Nachbarschaft vielen weniger Geld lässt? Natürlich sei es schlecht, dass es die Schwächsten treffe. Aber irgendwo müsse ein Anfang gemacht werden, das Geld reiche schlicht nicht mehr. Und wie Fuchs und Noa fragt er nach der Alternative und antwortet selbst: Die gebe es nicht.

Und was ist mit der Linkspartei, die sich gerade bildet? Meyer hält viel vom System zweier großer Volksparteien, die sich die Waage halten. Die CDU? Die würde doch alles noch viel schlimmer machen, scheue doch auch gar nicht davor zurück, das öffentlich zu sagen. „Ich verstehe nicht, wie Wähler trotzdem zur CDU hingehen können.“ Die PDS? Könne sich nicht von ihrer Vergangenheit lösen, stelle keine Alternative für die Zukunft dar.

Meyer ist in die SPD eingetreten, als er sich im Frühjahr selbstständig machte. Dieses Eigenverantwortliche klingt immer wieder durch. Vielleicht würden ja gerade die Kürzungen motivieren. Er stellt auch infrage, dass es nicht genug Arbeit gibt – „oft ist nur die Arbeit nicht da, die man machen möchte“.

Bei Meyer in Neukölln endet die Erklärungssuche. Meyer, Fuchs und Noa. Drei von 400 Eintritten gegen 500 Austritte im ersten Halbjahr 2003. Drei Interneteintritte, die sich genauso leicht online revidieren lassen. Noa will sich engagieren, Fuchs und Meyer wollen irgendwann mal bei einer Parteiveranstaltung vorbeischauen, sich angucken, ob ihnen die Sache zusagt. Jetzt gehe es halt in Richtung SPD für ihn, sagt Meyer, „wer weiß, wo ich in zehn Jahren bin?“. Das klingt nach anderer Parteimitgliedschaft als bei einem Mann, der heute in Spandau Geburtstag feiert. Karl Richter heißt er, 100 Jahre wird er. 84 davon hat er in der SPD verbracht.