Kulturelle Vielfalt hebt das Wohlbefinden

UN-Bericht zur menschlichen Entwicklung betont Notwendigkeit des Miteinanders der Kulturen. „Human Development Index“ setzt Deutschland nur noch auf den 19. Platz. Spitzenreiter bleibt Norwegen, Schlusslicht Sierra Leone

BERLIN taz ■ Unter dem Titel „Kulturelle Freiheit in unserer Welt der Vielfalt“ hat gestern das UN-Entwicklungsprogramm UNDP seinen neuen Jahresbericht vorgestellt. Ein multikulturelles Miteinander sei möglich, heißt es darin. „Jeder Mensch kann mehrere kulturelle Identitäten haben“, so Gabriele Köhler, Koordinatorin der UNDP in Lettland bei der Präsentation der deutschen Ausgabe des Berichts in Berlin. Es sei also möglich, dass ethnische Minderheiten ihre eigene Kultur beibehalten – damit sind vor allem Sprache und Religionszugehörigkeit gemeint –, sich aber trotzdem dem Staat zugehörig fühlen, in dem sie leben. Mit dieser Aussage macht sich das UNDP für die doppelte Staatsbürgerschaft stark – vor allem in Lettland mit seiner russischen Minderheit ein heikles Thema. Wichtigster Bestandteil der seit 1990 erschienenen Berichte ist der „Index für die menschliche Entwicklung“ (Human Development Index – HDI).

Die UNDP versucht damit, den Grad der menschlichen Entwicklung weltweit unter anderem nach Lebenserwartung, Bildungsniveau, Prokopfeinkommen und Lebensstandard zu messen. Unter den bewerteten 177 Ländern steht jetzt zum vierten Mal in Folge Norwegen an erster Stelle, gefolgt von Schweden und Australien. Deutschland nimmt den 19. Platz ein und fiel damit einen Platz zurück, ebenso wie die USA, die auf Platz acht stehen. Schlusslicht ist wie in den Jahren zuvor Sierra Leone.

Der HDI veranschaulicht gegenüber einer einfachen Auflistung nach Prokopfeinkommen, dass Einkommen und menschliches Wohlergehen nicht dasselbe sind. Tansania hat ein Prokopfeinkommen von 580 US-Dollar im Jahr, Angola 2130 – aber Tansania liegt in der HDI-Rangliste auf Platz 162, Angola auf Platz 166. Umgekehrt verzeichnen manche Länder, die auf demselben Einkommensniveau liegen, große Unterschiede beim HDI. So hat Vietnam mit 2.300 US-Dollar pro Jahr ein kaum höheres Prokopfeinkommen als Angola, liegt aber in der HDI-Liste auf Platz 112, gefolgt von Moldawien mit nur 1.470 Dollar pro Jahr.

Die HDI-Einstufungen zeigen, so UNDP, „dass Länder nicht erst auf den wirtschaftlichen Aufschwung warten müssen, um Fortschritte bei der menschlichen Entwicklung zu machen“ – und umgekehrt bedeutet Wirtschaftswachstum nicht automatisch eine verbesserte Lebensqualität. Damit betont der Bericht das Primat der Politik gegenüber der Ökonomie.

Trotz eines weltweiten Fortschritts im HDI seit den 60er-Jahren ist er seit 1990 in 20 Ländern gesunken. 13 dieser Länder liegen in Afrika südlich der Sahara. Grund: Durch Ausweitung der HIV/Aids-Epedemie ist die Lebenserwartung dort niedriger geworden. Auch in einigen GUS-Staaten ist ein negativer Trend zu verzeichnen, der vor allem am sinkenden Einkommen liegt.

In einem weiteren Index bewertet die UNDP seit 1995 auch geschlechtsspezifische Ungleichheiten der Entwicklung. Hierbei werden die im HDI angewendeten Indikatoren nach Männern und Frauen getrennt. Die größten Unterschiede zwischen den Geschlechtern dabei sind laut UNDP in Saudi-Arabien, Oman, Pakistan, Jemen und Indien zu verzeichnen. Relative Geschlechtergleichheit herrscht dagegen vor allem in Schweden, Dänemark, Australien, Lettland und Bulgarien.

SUSANNE VANGEROW