Spezifische Objekte

Reif für Minimal: Die große Donald-Judd-Retrospektive in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen bringt die neben Pop-Art wichtigste Kunstbewegung der Sechzigerjahre neuerlich ins Blickfeld

Tricks eines illusionistischen Malers, die man kaum vermuten würde

VON HARALD FRICKE

In einer solchen ungezwungenen Atmosphäre bekommt man das Werk von Donald Judd nicht oft zu sehen. Vor dem Eingang der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen haben sich 1600er-VW-Variant zum Oldtimertreffen aufgebaut, daneben eine gelb leuchtende Hüpfburg für Kinder. Ob das Setting zwischen Jahrmarkt und stolzer Leistungsschau auch Judd gefallen hätte? Schwer zu sagen. Einerseits war der Minimal-Art-Künstler mit seinen Messing-Boxen, Aluminiumleisten und verschraubten Stahlobjekten ein vehementer Verfechter des less is more; darüber hinaus benannte er selbst seine Kinder Rainer und Flavin noch nach den KünstlerkollegInnen Yvonne Rainer und Dan Flavin – so weit geht die Liebe zum Betrieb sonst nur selten.

Andererseits ist Judd nicht immer nur der reinen Lehre gefolgt. Während er in den 60er-Jahren selbst abstrakte Malerei ablehnte, weil sie zu wenig materialbewusst war und noch Inhalte repräsentierte, schillern seine plastischen Arbeiten aus der Spätphase enorm dekorativ, wie ein Regenbogen oder das Schminkset eines Teenagers. In seiner Begeisterung für das perfekte Finish kaufte er sogar sämtliche Vorräte an Harley-Davidson-Spraydosen auf, als die Lacke wegen ihrer gesundheitsschädlichen Folgen vom Markt genommen wurden. Für die 30 Elemente umfassende Wandarbeit „Untitled“ von 1986 wurden die 100 x 100 cm großen und 50 cm tiefen Sperrholzkästen wiederum doppelt mit Plexiglas ausgekleidet, sodass schwarze Platten die darüber gelagerten hellen Schichten abtönen und ihnen den Anschein größerer räumlicher Tiefe geben. Das sind Tricks eines illusionistischen Malers, die man kaum bei einem Künstler vermuten würde, der Farbeffekte als überholte europäische Tradition ablehnte. Aber auch Judds Argwohn gegenüber Design hat ihn nicht daran gehindert, nach einer Begegnung mit dem Schweizer Inneneinrichter Lehni 1984 ins Möbelgeschäft einzusteigen: Heute existieren über ein Dutzend Judd-Modelle – Regale, Hocker, Stühle –, die in 15 Farben lieferbar sind. Sollte am Ende der US-Kunstkritiker Clement Greenberg Recht behalten, der sich in den Sechzigerjahren beklagte, dass ein Großteil an Minimal Art kaum von den Errungenschaften des good design zu unterscheiden sei?

Offenbar gibt es weiter Klärungsbedarf, zumal Ausstellungen nach Judds frühem Tod 1994 im Alter von 65 Jahren rar blieben. Das Sprengel-Museum in Hannover hatte 2000 zwar eine große Einzelpräsentation, die thematisch aber an Judds Umgang mit Farbe gebunden war. Dieses Jahr scheint die Zeit jedoch reif für eine detaillierte Auseinandersetzung mit Minimalismus: Im Frühjahr widmete das New Yorker Guggenheim den „Singular Forms“ ab 1951 einen Überblick; das Museum of Contemporary Art in Los Angeles hat mit „A Minimal Future? Art as Object 1958–1968“ die Hochzeit der Minimal Art aufgearbeitet; und mit der in Londons Tate Gallery gestarteten Donald-Judd-Retrospektive kommt die neben Pop-Art wichtigste Kunstbewegung der Sechzigerjahre nun auch nach Deutschland zurück. The Empire strikes back – mitten im Boom junger zeitgenössischer Malerei, die sich erfolgreich auf Symbolismus, Realismus und Romantik made in Old Europe bezieht.

Tatsächlich war Minimal Art eine sehr amerikanische Angelegenheit, das sieht man auch in Düsseldorf. Die Materialien aus der Schwerindustrie, die überdimensionalen Formate, alles ist auf ein gesellschaftliches Umfeld ausgerichtet, das in den Sixties durch Massenproduktion – von der Einbauküche bis zum Fertighaus – geprägt wurde. Wenn Pop-Art ein Widerschein der Waren- und Medienwelt war, dann ist der Minimalismus eine Antwort auf die Formensprache des US-Alltags gewesen – weg von der Stromlinienform, hin zur seriellen Klötzchenbauweise in Architektur und Gestaltung. Dabei ging die Reduktion auf simple, geometrische Pattern für Judd mit Fragen nach der Beschaffenheit eines fast kantischen Dings an sich einher, weshalb er in Bezug auf seine Arbeiten lieber von specific objects als von Skulpturen sprach. Kein individueller Ausdruck durfte die Wahrnehmung von Kunst als übergeordneter Idee stören, bei der der Betrachter selbst entscheiden muss, in was für eine Beziehung er sich zu den Werken setzt. Minimal bedeutete für Judd, dass sich die Arbeiten durch minimale Variationen ergänzen, um daraus ein System zu bilden.

In Düsseldorf dominiert nicht das System, sondern die Chronologie. In sieben Räumen sind Judds Arbeiten dem Lauf der Biografie entsprechend präsentiert: Anfang der Sechzigerjahre löst er sich vom damals alles beherrschenden Abstrakten Expressionismus und wechselt von der Malerei zur Skulptur, auch wenn die frühen Arbeiten deutlich Tröpfelspuren à la Jackson Pollock tragen. 1963 stellt er seine erste Box aus kadmiumrot gestrichenem Holz auf den Boden und lässt den Quader mit einem Eisenrohr kontrastieren, sodass die Konturen und Winkel scharf hervortreten. Manche der Hohlformen leuchten magisch von innen, wenn man sie aus einigem Abstand betrachtet; dagegen sieht man den an der Wand befestigten, polierten Aluminiumleisten arge Kratzspuren an, über die Judd schon früh verzweifelte. Obwohl er sich für eine industrielle Fertigung entschied, sollte das Metall stets glänzen wie Brancusi-Skulpturen. Jeder Fingerabdruck hätte von der neutralen Oberfläche abgelenkt, zugleich weigerte sich Judd aber auch, seine Objekte nachträglich polieren zu lassen, weil man daran den menschlichen Eingriff hätte ablesen können. In dieser Vorstellung von Kunst als unmittelbare Erscheinung im Hier und Jetzt war er so entschieden wie vor ihm nur Barnett Newman mit seinen monochromen Leinwänden in Rot-Gelb-Blau.

Gleichwohl nimmt man es mit Judds Dogma vom unverfälschten Charakter seiner specific objects nicht immer genau. Weil die Deckenhöhe nicht ausreichte, wurden in Düsseldorf einige der horizontal gehängten Kästen kurzerhand aus den Serien entfernt. Plötzlich fehlt in einer Sechserreihe die den Reigen farblich schließende grüne Box; dann wieder hat man gegen den ursprünglichen Willen des Künstlers einen Kasten nicht direkt auf den Boden, sondern auf eine Metallplatte gestellt, da das Hirschhorn Museum in Washington Angst hatte, seine Leihgabe könne an der Unterseite Schaden nehmen. Offenbar ist der Grat schmal zwischen spröder Industrieware und musealem Schmuckstück. Vor neugierig grabbelnden Kinderhänden jedenfalls scheint man in Düsseldorf gefeit, da schafft die Hüpfburg vor der Tür genug Abhilfe.

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