Handreichung für ein paar Euro

VON ULRIKE HERRMANN

Die Langzeitarbeitslosen erhalten derzeit dicke Briefe: 14-seitige Formulare, mit denen das neue Arbeitslosengeld II zu beantragen ist. Die meisten wissen, dass sie dabei verlieren und ab Januar weniger oder gar kein Geld mehr bekommen werden (siehe Kasten). Da liegt eine Frage ganz nahe: Gibt es vielleicht Tricks, mit denen sich wenigstens ein paar Euro mehr herausschlagen lassen?

Ausfüllen ist Pflicht

Von einem „Trick“ ist dringend abzuraten: der Vogel-Strauß-Methode. Es nutzt nichts, den dicken Brief ungeöffnet zu ignorieren. Wer die Formulare nicht vollständig ausfüllt, verliert seinen Anspruch auf das Arbeitslosengeld II. Es besteht „Mitwirkungspflicht“.

Rechtzeitig zum Amt

Aber kann man sich nicht wenigstens Zeit lassen, dieser lästigen Pflicht nachzukommen? Da sind sich die Arbeitsloseninitiativen uneins. Die Berliner „initiative anders arbeiten“ empfiehlt die Verzögerungstaktik und will damit „Sand ins Hartz-Getriebe streuen“, wie sie in Flugblättern erläutert. „Wenn die Anträge von sehr vielen Bürgern erst ,auf den letzten Drücker‘ abgegeben werden, dann wird das in der Öffentlichkeit und Politik gewiss richtig verstanden: als Ausdruck von Unmut und Protest!“

Andere Erwerbsloseninitiativen hingegen raten davon ab, die Formulare erst am Jahresende abzugeben. „Dieser Boykott hat auch Nachteile“, warnt etwa Harald Thomé von der Wuppertaler Initiative tacheles. Denn die Bundesagentur veranschlagt bis zu drei Monaten Bearbeitungszeit pro Antrag. Das Geld kommt dann zwar – aber später. „Viele Langzeitarbeitslose können diese Zeit nicht überbrücken“, prognostiziert Thomé.

Lügen ist strafbar

Auch ein anderer „Trick“ ist derart offensichtlich, dass ihn die Regierung so unattraktiv wie möglich gestaltet hat: Lügen. Wer „vorsätzlich“ falsche Angaben einträgt, macht sich strafbar. Etwas weniger hart wird „grobe Fahrlässigkeit“ geahndet – das gilt dann als Ordnungswidrigkeit und kann ein Bußgeld nach sich ziehen. Auf jeden Fall ist aber das Arbeitslosengeld II zurückzuzahlen, das zu Unrecht eingestrichen wurde. Martin Künkler von der DGB-Erwerbsloseninitiative rät daher stets zu „ehrlichen Angaben“.

Gatte, Partner, WG-Genosse

Wer das Antragsformular ausfüllt, stößt gleich auf eine Frage, die entscheidend ist: die nach der „Bedarfsgemeinschaft“. Gibt es einen Gatten – oder einen Lebenspartner? Wer dort „Ja“ ankreuzt, erhält meist weniger Arbeitslosengeld II. Denn ab Januar wird das Einkommen des Partners komplett berücksichtigt, ein Paar darf künftig nur noch über 622 Euro monatlich verfügen.

Ehen sind Ehen, aber ist der Mann, der in der gleichen Wohnung lebt, wirklich ein Lebenspartner? Oder doch nur ein geschätzter WG-Genosse? Das ist durch amtliche Hausbesuche nicht unbedingt festzustellen. Es könnte allerdings aufschlussreich sein, wenn nur ein Doppelbett in der Wohnung steht.

Vorsicht: Datenabgleich!

Die Arbeitsagenturen dürften sich jedoch kaum die Mühe machen, zu massenhaften Hausbesuchen aufzubrechen. Meist lassen sich die Angaben zu Einkommen und Vermögen viel bequemer kontrollieren – durch den automatisierten Datenabgleich. Das wird in den Informationsblättern der Bundesagentur nicht verschwiegen: „Leistungsmissbrauch wird unter anderem mit modernen Methoden der Elektronischen Datenverarbeitung – auch in übergreifender Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Trägern – aufgedeckt“, steht da. Eine Topadresse für den Datenabgleich ist das Bundesamt für Finanzen, das die Freistellungsaufträge erfasst.

Beweis: Freistellungsauftrag

Dieses Formular füllen Bankkunden aus, um den Sparerfreibetrag bei Zinsen oder Dividenden auszuschöpfen. Mühelos kann die Bundesagentur so verheimlichte Bankguthaben oder Aktiendepots in Deutschland aufspüren und ermitteln, ob der Antragsteller mehr besitzt als die erlaubten 200 Euro pro Lebensjahr.

Diese Überprüfungsmöglichkeit ist nicht neu: Auch bisher schon haben die Sozialbehörden ihre Daten weitergeschickt – und keineswegs nur von Langzeitarbeitslosen. Im letzten Jahr flogen tausende von Bafög-Empfängern auf, weil sich über ihre Freistellungsaufträge ermitteln ließ, dass sie Geldvermögen verschwiegen hatten. Der Staat forderte etwa 100 Millionen Euro bei Schülern und Studenten zurück.

Datenspur Versicherung

Eine weitere Adresse für den Datenabgleich sind die Renten- und Krankenkassen. Ein Knopfdruck – und es werden nicht nur alle normalen Beschäftigungsverhältnisse entdeckt, sondern auch die Minijobs. Denn der Arbeitgeber ist verpflichtet, eine Pauschale von 25 Prozent abzuführen. Dazu gehören auch 12 Prozent für die Rentenkasse. Von diesen winzigen Beiträgen kann zwar im Alter niemand leben, aber sie hinterlassen eine allzu deutliche Datenspur.

Kurz: Wenn Geld im Spiel ist, wird es schwierig mit dem Schummeln. Eine Ausnahme könnten Lebensversicherungen sein. Wer sie verschweigt, sei wohl meist nicht aufzuspüren – das meinen jedenfalls die zuständigen Datenschützer in Hamburg. Allerdings sieht Hartz IV sowieso ein Schonvermögen für die Altersvorsorge vor: 200 Euro pro Lebensjahr sind zusätzlich gestattet. Sie werden nicht auf jene 200 Euro pro Lebensjahr angerechnet, die als sonstiges Vermögen erlaubt sind.

So zynisch es klingt: Damit wird die Rechtslage sogar verbessert! Seit 2003 darf ein Arbeitslosenhilfeempfänger nämlich nur ein Vermögen von insgesamt 200 Euro besitzen, Lebensversicherungen inklusive.

Liebling Auto

Manche Autobesitzer fragen sich besorgt, ob ihr Gefährt „angemessen“ und damit erlaubt ist. Falls es Sie beruhigt: Es wird keine Regelanfragen beim Kraftfahrzeug-Bundesamt geben. Das ist gesetzlich nicht vorgesehen. Nur in begründeten Verdachtsfällen werden sich die Arbeitsagenturen in Flensburg informieren.

Eilige Anschaffungen

Beim neuen Arbeitslosengeld II wird oft völlig übersehen: So neu sind viele Bestimmungen gar nicht. Auch bisher schon mussten die Langzeitarbeitslosen ihr Vermögen komplett offenbaren. Wer also Werte je verschweigen wollte, der beginnt damit nicht erst jetzt, weil er einen neuen Antrag ausfüllen muss: Diese Straftat hat er längst hinter sich. Außerdem dürften viele Langzeitarbeitslose ihre Ersparnisse sowieso aufgezehrt haben. Schließlich war die Arbeitslosenhilfe auch bisher nicht üppig.

Kleine Rücklagen sind eigentlich nur bei jenen zu vermuten, die ihren Job erst vor kurzem verloren haben. Ein Jahr lang beziehen sie das reguläre Arbeitslosengeld, das sich nach dem letzten Nettoeinkommen richtet. Doch dann droht auch ihnen, ins neue Arbeitslosengeld II zu fallen – mitsamt den harten Vermögensregeln.

Das will vorbereitet sein: Niemand kann etwa einem Arbeitslosen verbieten, eine „notwendige Anschaffung“ wie eine Waschmaschine vorzuziehen. Hausbesitzer könnten nochmal gründlich sanieren. Und wer noch kein „angemessenes“ Auto besitzt, könnte es plötzlich als dringend erforderlich erachten.

Sonderfall Erbschaft

Auch Langzeitarbeitslose erben gelegentlich. Solche „Vermögenszuflüsse“ sind natürlich sofort anzuzeigen. Allerdings wird die Arbeitsagentur nicht automatisch von den Grundbuchämtern informiert, sobald sich die Eigentumsverhältnisse bei Immobilien ändern.

Diese Datenlücken sehen die Ämter gelassen. „Irgendwann kommt alles raus“, fasst ein Berater seine langjährigen Erfahrung zusammen. „Da muss sich nur ein Ehepaar verkrachen, und schon gibt es eine anonyme Anzeige vom Partner.“

Jetzt Existenz gründen

Wer jetzt denkt, dass er die Anträge lieber meiden will, für den gibt es noch eine Alternative – die Selbstständigkeit. Allerdings müssen sich Langzeitarbeitslose beeilen. Bis Ende Dezember dürfen sie noch eine Ich-AG gründen; ab Januar gilt dieser Rechtsanspruch dann nicht mehr.

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