Ein Interview mit dem kolumbianischen Aktivisten Erick Arellana Bautista, dessen Film „N.N. – Den Verschwundenen eine Stimme“ im 3001 läuft
: Die Autos mit den dunklen Scheiben

taz: Was ist dein augenblickliches Anliegen in Deutschland?

Erick Arellana Bautista: Ich möchte Öffentlichkeitsarbeit zum Thema „Menschenrechte in Kolumbien“ machen, mit dem Schwerpunkt auf dem Verschwindenlassen von Menschen. Ich möchte meinen Film N.N. – Den Verschwundenen eine Stimme zeigen und ein wenig Ruhe haben, weil ich in der letzten Zeit in Kolumbien aufgrund meiner Arbeit bedroht worden bin. Ich arbeite mit Friedensgemeinschaften im Inland, mit Jugendlichen aus Armenvierteln und habe eine künstlerische Arbeit zum Thema Menschenrechte gemacht. Diese Arbeiten sowie der Fall meiner Mutter, die 1987 zum Verschwinden gebracht wurde, waren Anlass für die Drohungen.

Vom wem wurdest du bedroht?

Vom Geheimdienst. Das Telefon wurde abgehört, und Autos mit dunklen Fenstern standen vor unserer Wohnung. Die Insassen haben Leute, die mich besucht haben, fotografiert. Dadurch wurde ich unter Druck gesetzt.

Welche Menschen mit was für einer Geschichte werden im Kolumbien zum Verschwinden gebracht?

Das sind Menschen, die gegen die soziale Ungerechtigkeit kämpfen. Kolumbien nennt sich zwar Demokratie, aber wie Eduardo Galeano sagt, handelt es sich eher um eine Demokratur. Denn das Militär hat die Macht, und es gibt keine richtige Justiz. Zudem verschwinden Menschen, die sich in den sozialen Bewegungen wie der organization feminina popular (OFP, eine basispolitische Frauenorganisation) engagieren. In den letzten zwei Jahren sind auch MenschenrechtlerInnen verschwunden. Bei der Organisation Asfaddes, die den Angehörigen verschwundener Inhaftierter hilft, gibt es zwei Mitglieder, die selbst zum Verschwinden gebracht worden sind. Die Organisation hat aktuell 7.000 Verschwundene registriert.

Gibt es politische Arbeit, die man gefahrlos machen kann, oder werden AktivistInnen willkürlich bedroht?

Die Gewalt ist nicht ganz willkürlich, aber beinahe. Und für ihr Funktionieren ist die Kluft zwischen Arm und Reich sehr bedeutsam. Kolumbien ist ein reiches Land, aber mehr als 60 Prozent der Bevölkerung leben in absoluter Armut. Daher kämpfen viele Menschen gegen Ungleichheit. Die staatliche Repression richtet sich gegen diese sozialen Bewegungen. Das hat Tradition, denn 1928 hat beispielsweise das Militär einen Streik der BananenarbeiterInnen, die auf den Plantagen der United Fruit Company arbeiteten, gewaltsam beendet. In der Anbauregion kam es zu regelrechten Massakern durch das Militär. Zwar gab es in den 80ern diverse Friedensprozesse, an ihrem Ende stand jedoch beispielsweise die systematische Ermordung von 4.000 Mitgliedern der Unión Patriótica (UP). Zudem sind die internationalen Konzerne ein großes Problem. In den letzten 20 Jahren sind mehr als 4.000 Gewerkschaftler ermordet worden.

Und das Militär agiert nicht mehr staatlich, sondern autonom?

Das Militär agiert fast autonom. Deshalb nennen wir die Staatsform Demokratur. Sie spielen sich als Richter auf, die sagen wer ein Terrorist ist, ohne Beweise, mit falschen Zeugen und gefälschten Papieren. Sie können alles behaupten, ohne be- und verurteilt zu werden. Die Justiz funktioniert nicht. Die Straffreiheit in Kolumbien beläuft sich auf fast 100 Prozent.

Wie viele Menschen wurden bislang in Kolumbien ermordet?

Jährlich ungefähr 25.000 Menschen.

Werden diese Menschen von den Paramilitärs ermordet?

Von paramilitärischen Truppen, vom Militär, von Guerillagruppen, von der Privatarmee der Drogenhändler, von bewaffneten und organisierten Räubern.

Was kann man von hier aus für die Menschen in Kolumbien tun?

Erst mal ist es wichtig, sich zu informieren und zu verstehen, warum die Sachen dort passieren. Es ist nicht einfach Kriminalität, sie hat ihre Wurzeln. Und dann ist es wichtig zu wissen, welche Produkte hierher kommen und was man kauft. Viele nehmen zum Beispiel Bananen nur als Obst wahr, und man weiß nicht, wie sie produziert werden, wie die ArbeiterInnen leben oder überleben. Ob sie gefoltert wurden und ob Blut geflossen ist. Das sieht man einem Stück Obst nicht an. Aber es hat schon eine Geschichte hinter sich. Das ist ein Ausgangspunkt, um etwas zu tun.

Was hat es mit deinem Kunstprojekt Vivo Arte auf sich?

Bei Vivo Arte sollen verschiedene Stimmen und Meinungen öffentlich werden und einen Raum bekommen. In Kolumbien ist es derzeit nicht so einfach, etwas gegen die Regierung zu sagen, denn nach dem 11. September ist jeder, der gegen die Regierung ist, ein Terrorist. Wir wollen Freiheit, um nicht zu vergessen. Wir arbeiten mit dem, was geschehen ist, wir verarbeiten diese Geschichten und zeigen, schau, das passiert in diesem Land. Interview: Doro Wiese

Film: Donnerstag, 17 Uhr, 3001; Gast: Erick Arellana Bautista