Ist gerichtet! Ist gerettet?

Der fürchterliche Jurist Jochen Schuster hat sein Urteil gesprochen: Jörg Immendorff bekommt elf Monate auf Bewährung wegen Drogenbesitzes. Damit dürfte er seine Lehrbefugnis behalten können

VON BRIGITTE WERNEBURG

Der Vorsitzende Richter am Düsseldorfer Landgericht, Jochen Schuster, hat das Urteil verkündet. Elf Monate auf Bewährung erhielt der Maler Jörg Immendorff gestern wegen unerlaubten Drogenbesitzes. Das Gericht folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die einen minder schweren Fall von Drogenbesitz konstatierte. Erst wenn das Urteil rechtskräftig geworden sei, sagte ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministeriums, werde seine Behörde prüfen, ob Jörg Immendorff seinen Lehrstuhl an der Kunstakademie Düsseldorf und damit seine Beamtenrechte und Pensionsansprüche behalte: Bei einer Freiheitsstrafe über einem Jahr wären „die Handlungsoptionen relativ eingeschränkt gewesen“. Immendorff, einer der bedeutendsten deutschen Künstler der Gegenwart, muss nach dem Urteil nicht in jedem Fall befürchten, seine Lehrbefugnis zu verlieren.

Um diese Chance muss es ihm gegangen sein, als er sich der Strapaze des Prozesses unterzog. Denn Jörg Immendorff ist ein todkranker Mann, er leidet an Amyotropher Lateralsklerose (ALS), einer Krankheit, die jene Nervenzellen in seinem Rückenmark zerstört, welche für die Steuerung der Körpermuskulatur zuständig sind. Immendorff wird in den kommenden Monaten irgendwann ersticken und verhungern, weil seine Atemmuskulatur dann gelähmt sein wird und er nicht mehr schlucken kann. Schon jetzt musste er sich fremder Hilfe versichern, um im Gerichtssaal Platz nehmen zu können.

Jederzeit hätte sich Immendorff also prozessunfähig schreiben lassen können – doch er tat es nicht. Er erduldete es, dass der Vorsitzende Richter ihm Steuerhinterziehung unterstellte. Denn der konnte es sich nicht vorstellen, dass Immendorffs Gemälde anders als hintenherum loszuschlagen seien. Er erduldete es, dass der Vorsitzende Richter fragte, welchen Beruf er eigentlich gelernt habe? Außer dem des Malers, der offenbar keiner ist, jedenfalls kein anständiger, wie man so sagt. Immendorff erduldete es weiter, dass der Richter befand, es diene der Wahrheitsfindung, wenn er wüsste, ob der Künstler „sexuell normal veranlagt“ sei? Schließlich, so der Vorsitzende Richter Schuster, „gibt es ja Leute, die sind homosexuell“. Ja, die gibt es.

Und es gibt Menschen, die sind Künstler und malen Bilder. Darüber hinaus gibt es Menschen, die kaufen sich Sex bei Prostituierten, und dann sind da noch die Menschen, die Drogen konsumieren. Nur Letzteres ist strafbar. Das war im Verlauf der Verhandlungsführung durch Jochen Schuster nicht immer klar, obwohl der Sachverhalt von Prozessbeginn an offen zu Tage lag. Denn Immendorff war bei seiner Verhaftung sofort geständig. Am 16. August vergangenen Jahres war der Maler von der Polizei in einem Düsseldorfer Hotel in Gesellschaft von neun Sexarbeiterinnen angetroffen worden, 11,9 Gramm Kokain, die Immendorff gehörten, fanden sich in einem Aschenbecher. Im Verlauf der weiteren Untersuchungen wurde ihm schließlich der Besitz von 6,639 Gramm reinen Kokains zur Last gelegt, eine Menge, die nicht mehr als geringfügig eingestuft werden muss.

Der fürchterliche Jurist Jochen Schuster und der renommierte Künstler, in einem Punkt schienen sie sich während des Prozesses aber doch getroffen zu haben. Indem nämlich Jörg Immendorff seinen Drogenkonsum, verständlich zwar, aber deswegen nicht glaubwürdiger, mit seiner Lebensgier nach der deprimierenden Krankheitsdiagnose zu erklären versuchte, leistete er der Heuchelei um den Drogenkonsum Vorschub. Der Drogenkonsum in unserer Gesellschaft bedarf nicht des Ausnahmezustands, und er ist auch nicht der Ausnahmezustand in unserer Gesellschaft. Er ist – jenseits von Alkohol – nicht unbedingt die Regel, er ist aber eine durchaus verbreitete Gewohnheit. Dass sie immer wieder zum Skandal gemacht werden muss, ist systembedingt. Doch dem muss man nicht zuarbeiten. Auch die Existenz des Künstlers oder der Künstlerin bezeichnet keinen Ausnahmezustand in unserer Gesellschaft. Doch damit hatte Immendorff vor einem Jahr durchaus kokettiert. Der Kokaingebrauch, dem er schon vor seiner Diagnose huldigte, und die extravaganten Abendgestaltungen im Steigenberger Parkhotel dienten seiner Inspiration, so hatte er sich damals geäußert. Die Boheme sollte hier noch einmal, arriviert zwar, aber doch ungebrochen in ihrem Bild von der existenznotwendigen Regelübertretung ins Feld geführt werden. Der Richter, dem dieses Bild offensichtlich verhasst ist, akzeptierte es. In seinen Gemälden, die der Richter, wie er zu Prozessbeginn stolz bekannt gab, nicht kennt, hat Immendorff freilich ein klügeres und komplexeres Bild unserer Gesellschaft entworfen. Sein Glaubwürdigkeit als Künstler stand in seinem Drogenprozess nie in Frage.