Tiflis und Moskau auf Konfrontationskurs

Bei Kämpfen in der von Georgien abtrünnigen Region Südossetien sterben drei Menschen. Während Georgiens Präsident das Gebiet wieder der Zentralgewalt unterstellen will, versucht Russland seinen Einfluss aufrechtzuerhalten

MOSKAU taz ■ Man wolle Wladimir Schirnowski nicht gleich versenken, meinte Georgiens Sicherheitsminister Gigi Ugaladse. Schließlich wisse man ja, dass der Vize-Dumavorsitzende es nur auf eins abgesehen habe: zu provozieren und Georgien zu unbedachtem Handeln zu verleiten.

Russlands publicitysüchtiger Allroundchauvi war am Mittwoch vor der abchasischen Küste aufgetaucht, um zu testen, ob die Georgier Manns genug seien, ihre Drohungen wahr zu machen. Vorige Woche hatte Georgiens Präsident Michail Saakaschwili Moskau gedroht, alle Schiffe, auch Touristendampfer, zu versenken, die es wagen sollten, in Abchasien vor Anker zu gehen.

Die Schwarzmeerrepublik gehört juristisch zu Georgien, hat sich nach einem Krieg 1991 indes von Tiflis losgesagt. Seither sorgen russische Friedenstruppen für Ruhe und ein Einfrieren des Status quo, der es dem Kreml erlaubt, die Region wie ein Protektorat zu verwalten. So haben die meisten der 250.000 Abchasen längst die russische Staatsbürgerschaft.

Saakaschwilis Drohung löste eine hysterische Medienschlacht zwischen Moskau und Tiflis aus. Keine russische Nachrichtensendung kommt derzeit ohne eine neue Provokation des kriegslüsternen südlichen Nachbarn aus, der sich nur mit Mühe auf eigenen Beinen hält. Wer wen provoziert, ist schwer zu ermitteln und interessiert auch niemanden.

Denn dies ist die ungeschriebene Regel in diesem Szenario, sonst würde es nicht funktionieren. Der Konflikt und die beidseitigen Interessen sind kein Geheimnis. Russland will das unabhängige Georgien nicht aus seinem Einflussgebiet entlassen. Tiflis, das Anfang der 90er-Jahre durch nationalistische Politik gegenüber den eigenen Minderheiten die territoriale Unversehrtheit Georgiens verspielt hat, versucht indes im Windschatten westlicher Sympathien die separatistischen Regionen wieder an die Zentralgewalt zu binden.

Daraus macht Michail Saakaschwili, der im letzten Jahr in einer friedlichen Revolution an die Macht gelangte, kein Hehl. Im Mai schickte er den autoritären Operettenfürsten der autonomen Region Adscharien, Aslan Abaschidse, ins Moskauer Exil und stellte in Batumi die Zentralgewalt wieder her.

In Abchasien und Südossetien stehen die Dinge anders. Südosseten und Abchasen sind ethnisch keine Georgier und fühlen sich in der Russischen Föderation spätestens seit den georgischen Exzessen Anfang der 90er-Jahre sicherer aufgehoben. In beiden Regionen wachen russische Friedenstruppen über den Status quo, tun sich aber schwer, Neutralität zu wahren.

Bei nächtlichen Gefechten in Südossetien kamen gestern erstmals nach zwölf Jahren wieder Menschen ums Leben. Drei Georgier starben und einige Südosseten sollen teils schwer verletzt worden sein. Daraufhin teilte das russische Außenministerium mit, eine russische Delegation werde umgehend nach Tiflis reisen. Berichte, wonach Georgien bereits Truppen Richtung Südossetien in Marsch gesetzt habe, bestätigte der Stab der gemeinsamen Friedenstruppen nicht.

Neben russischen stehen auch nordossetische und georgische Soldaten mit Friedensauftrag in der Region. Die Grenzen zwischen Konflikt- und Friedenspartei dürften indessen auf beiden Seiten eher fließend sein. In den russischen Einheiten dienen viele Südosseten, die, wie die meisten der 70.000 Einwohner der Republik, russische Pässe besitzen. Georgien sieht darin bereits einen Verstoß gegen das Waffenstillstandsabkommen und fordert eine Ausweitung des Mandats der OSZE.

Dies hält Moskau für indiskutabel. Klar ist: Moskau will den Hebel zur Destabilisierung nicht aus der Hand geben. Mit dem Status quo ist der Kreml bestens bedient. In Tiflis liegt der Schüssel zum übrigen Kaukasus, je stabiler aber Georgien, desto weniger wird Russland im Transkaukasus zu melden haben.

Und auch dies ist klar: Im Unterschied zum entmachteten Präsidenten Eduard Schewardnadse findet sich Saakaschwili nicht mit dem Status quo ab. Verhandlungsmasse gibt es zuhauf. Tiflis will vor allem an der Kontrolle des Roki-Tunnels, der Russland mit Südossetien verbindet, beteiligt werden. Würde diese Hauptschlagader des Schmuggels stillgelegt, dürften russische Militärs an der Republik schnell das Interesse verlieren. Letzte Woche war Saakaschwili in Washington bei Außenminister Powell und Verteidigungsminister Rumsfeld. Was mögen sie ihm geraten haben?

KLAUS-HELGE DONATH