DIE ZAHL DER SCHEIDUNGEN STEIGT, WEIL DIE ERWARTUNGEN ZU HOCH SIND
: Eheretten in 15 Minuten

Für fast alle Fertigkeiten, die man im Leben benötigt, gibt es heutzutage Kurse, Weiterbildungen, Workshops – nur die Vorrausetzungen, die man für eine funktionierende Ehe braucht, sind meist romantisch umnebelt. „Den Richtigen treffen“ gilt als schon mal nicht ganz einfache Grundbedingung. Ist der oder die „Richtige“ gefunden, soll dann alles von allein flutschen, mit der Liebe, dem Verständnis, dem Sex, niedlichen Kindern, dem gemeinsamen Heim. Dass dem nicht so ist, zeigen die jüngsten Scheidungsraten: Mit 214.000 ist die Zahl der gescheiterten Ehen 2003 erneut gestiegen. Etwa jedes dritte Ehepaar, so die Faustregel, muss mit einer Scheidung rechnen.

Überhöhte Erwartungen an die Partnerschaft, größere Unabhängigkeit der Frauen, unglücklich machende Rollenverteilungen – die Gründe, warum so viele Ehen scheitern, werden oft benannt. Man weiß, dass sich Großstädter eher scheiden lassen als Dörfler, Protestanten eher als Katholiken, Paare, die zur Miete wohnen, eher als Hauseigentümer, gebildete Frauen eher als weniger Qualifizierte. Man hat errechnet, dass die meisten Ehen zwischen dem dritten und dem siebten Jahr zerbrechen und dass bei der Scheidung eine nicht unerhebliche Rolle spielt, welche weitere Paarungshoffnung Männer und Frauen auf dem Partnerschaftsmarkt noch hegen. Merkwürdig: Je mehr Daten man über Scheidungen sammelt, desto unromantischer erscheint im Rückblick die Institution der Ehe. Aus dieser ernüchternden Erkenntnis lässt sich aber etwas machen.

Amerikanische Eheberater haben nämlich den Spieß umgedreht und recht pragmatische Regeln entwickelt, nach denen PartnerInnen ihre Ehe durch Krisen führen können. Anderthalb Stunden in der Woche, in denen die PartnerInnen jeweils abwechselnd immer 15 Minuten von sich, von ihren Träumen, Ängsten und Wünschen erzählen dürfen, während der andere gebannt zuhört – diese anderthalb Stunden sollen Wunder bewirken gegen die eingerostete Kommunikation in Langzeitehen. Gerade dass wir das als so lächerlich wahrnehmen, sollte eigentlich nachdenklich stimmen. Denn vielleicht ist ja unsere Wahrnehmung falsch.

Vielleicht ist es tatsächlich so einfach: Nur wer das System der Zweisamkeit von hohen Erwartungen entlastet, wer den anderen auch mal in Ruhe lässt, wer andere Freundschaften pflegt, der hat eine Chance. Und das betrifft nicht nur die Männer und Frauen – in jeder zweiten Scheidung sind Kinder betroffen. Eltern, die gerne zusammenbleiben, sind für sie das Beste. Das ist die emotionale Seite der Nüchternheit. BARBARA DRIBBUSCH