„Kamera auf Augenhöhe“

Die Ethno-Dokumentation „Elsewhere – Anderswo“ (Arte, 23.50 Uhr) ist puristisch und deshalb so spektakulär

Nikolaus Geyrhalter reiste im Jahr 2000 jeden Monat in ein anderes ländliches Gebiet der Welt, von Namibia bis Grönland. Aus 12 Geschichten machte er den Episodenfilm „Elsewhere“. Der Ethnologe Michael Rösler, der an der Uni München ein Seminar über die Dokumentation leitete, über die undogmatische Annäherung an andere Kulturen.

taz: Herr Rösler, „Elsewhere“ wird mit Preisen und Lob überschüttet. Warum sind Jurys, Festivalbesucher und Ethnologen so angetan von einem puristischen, untertitelten 240-Minuten-Dokumentarfilm?

Michael Rösler: Das liegt an dem merkwürdigen Eindruck, dass die Protagonisten so authentisch rüberkommen. Das zeigt sich schon in den ersten Szenen …

in denen zwei Frauen in der Wüste Wasser holen.

Die Art, wie diese jungen Tuareg-Frauen dort auf dem Esel sitzen, zurückschauen in Richtung Kamera und kichern, das ist so ein kleiner Hinweis, dass hier Einverständnis besteht: Okay, der filmt uns. Es ist für Frauen in dieser Gesellschaft nicht selbstverständlich, dass Männer in ihre Welt eindringen, Europäer schon gar nicht. Diese Szene vermittelt Authentizität: Die Leute wirken echt. Geyrhalter stellt seine Protagonisten nicht zur Schau, sondern wir begegnen ihnen, quasi am anderen Ende der Welt, auf der Alltagsebene.

So stellt er sie nicht als isoliert dar, sondern lässt sie sich in der Welt verorten.

Das ist das Spannende. Es sind alles Menschen, die wir unter die Kategorie Stammesgesellschaften, indigene Völker oder nationale Minderheiten fassen würden. Aber der Film zeigt diese Menschen nicht in ihrem vermeintlich traditionellen Lebensmilieu. Sie stehen in der Gegenwart, und Geyrhalter lässt sie unabhängig von jenen globalen Diskursen reden, von denen wir glauben, sie müssten sie führen. Es geht da nicht erzwungenermaßen um Raubtierkapitalismus und Opferrollen. Das finde ich erfrischend undogmatisch. Der Film gibt uns selbst die Möglichkeit, zu sehen, was wir sehen können und wollen.

Auch, indem er besondere filmische Stilmittel einsetzt?

Sicher. Geyrhalter hat eine sparsame Bildsprache, die vermittelt: Das könnten alles unsere Nachbarn sein. Die Kamera bleibt auf Augenhöhe der Protagonisten, und man kann sich sehr viel Kontext im Bild erschließen. Er leistet, was Geo und National Geographic auch versuchen, was ihnen aber nicht gelingt, weil sie nach dem Spektakulären Ausschau halten.

Geyrhalter benutzt nicht einmal Kommentar.

Weil er den Bildern vertraut. Und ich denke, das Publikum kann diesen Bildern auch vertrauen. Die sind ehrlich, da ist nichts manipuliert. Das sieht man.

INTERVIEW: KLAUS RAAB