Schluss mit dem Blinde-Kuh-Spiel

Deutsche Manager halten die Höhe ihrer Bezüge gern geheim. Das ändert sich gerade – unter dem Druck der öffentlichen Debatte über Spitzengehälter

VON NICK REIMER

Aha. Michael Diekmann verdient 900.000 Euro im Jahr. Bislang wusste das nur seine Frau. Und vielleicht die Lohnbuchhaltung der Münchener Allianz. Die Versicherung nämlich – deren Vorstandschef Diekmann ist – redet nicht über derlei Honorierung. Begründung: Wären die Angaben über die Bezüge der Vorstände öffentlich, würde dies unterm Führungspersonal erhebliche Diskussionen auslösen. Und das „widerspricht den Interessen der Gesellschaft und der Aktionäre“.

Jetzt hat der Chef selbst gegen diese Interessen verstoßen. Bei der Präsentation des Geschäftsergebnisses präsentierte Diekmann nicht nur Quartalszahlen, sondern gab auch über sein Salär Auskunft. „Wenn Sie das so doll interessiert: Ich verdiene fix 900.000 Euro.“ Eigentlich halte er nichts von derlei Zusatzinformationen, so Diekmann, der Geschäftsbericht sei bereits aussagefähig. Aber die Diskussion in der Öffentlichkeit habe eine Form angenommen, die zu einer „Neubewertung des Themas“ führe, „da wir nichts zu verstecken haben“, so der Allianzchef. Neubewertung bedeutet: Diekmann will nicht nur über sein eigenes Einkommen reden. Eine Konzernsprecherin erklärte der taz, ihr Chef wolle mit dem Aufsichtsrat besprechen, ob nicht „das Gehalt jedes Vorstandsmitglieds veröffentlicht wird.“

Der Mannesmann-Prozess wegen überzogener Gratifikationen für Manager auf der einen Seite, die Einschnitte von Hartz IV auf der anderen Seite: Die Diskussion über Spitzengehälter in Deutschlands Wirtschaft ist aufgeheizt. Argumentiert wird moralisch: „Von Vorbildern erwarte ich, dass sie Maß und Mitte kennen“, so Bundespräsident Horst Köhler. Natürlich müssten die Vorstandsbezüge aller Aktiengesellschaften offen gelegt werden.

Argumentiert wird auch juristisch. Nach dem so genannten Corporate-Governance-Kodex, der Standards für eine transparente Unternehmensführung festlegt, ist die Veröffentlichung der Managerbezüge freiwillig. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries will das notfalls per Gesetz ändern, die börsennotierten Unternehmen zur Offenlegung zwingen. Auch wahltechnisch wird argumentiert: Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) will die Volksseele sanfter streicheln als alle anderen. Stoiber setzte der Wirtschaft für die Offenlegung kurzerhand eine Frist: diesen Herbst. Was der stellvertretende FDP-Chef Rainer Brüderle als „reinen Stammtisch-Populismus“ bezeichnete. Allerdings kommt auch Brüderle nicht umhin, die Praxis als „Schweigepakt der Dax-Unternehmen“ zu kritisieren.

Der Druck zeigt jetzt offenbar Wirkung. Die Allianz ist das Zwölfte der im Dax 30 gelisteten Unternehmen, das offensiv mit dem Thema umgeht. Weitere wollen folgen. Auch die Vorstände der Deutschen Bahn und der KfW-Bankengruppe kündigten an, die Vorstandsbezüge im Geschäftsbericht 2004 detailliert auszuzeichnen. Bislang gibt es dort nur Angaben über die Gesamtbezüge. Ähnliches kündigte jetzt der Maschinenbauer MAN an – das wäre der dreizehnte Dax-Konzern (siehe Liste). Dort steht der Allianz-Mann ganz unten.

Neidisch, Frau Diekmann? Keine Angst, die 900.000 Euro, die ihr Mann angab, sind nur die halbe Wahrheit. Zum Grundgehalt kommt nämlich ein jährlicher Bonus hinzu. Bislang war der in Summe für alle elf Allianz-Vorstände angegeben. Zu den fixen 7,3 Millionen Euro kamen 15,5 Millionen Euro „variable Bezüge“. Nach Berechnungen der Wirtschaftswoche hat allein Vorstandschef Diekmann so 3,4 Millionen Euro in seiner Tasche. Und auch das ist noch nicht alles: Anreizvergütungen wie Aktien oder Aktienoptionen kommen genauso dazu wie „betriebliche Zusatzleistungen und weitere Nebenleistungen“. Der Geschäftsbericht weist eine „aktienbezogene Vergütung“ für die 11 Vorstände von 9,4 Millionen Euro aus.

Mag sein, dass Manager wie Michael Diekmann jetzt durch Ausplaudern ihres Salärs versuchen, die Oberhand in der öffentlichen Debatte zu bekommen. Edzard Reuter, einst selbst hoch bezahlter Vorstandschef von Daimler-Benz, sagt: „Manche der heutigen Gehälter sind unmoralisch und ethisch nicht mehr begründbar.“

Man kann das mit Zahlen anschaulich machen. Zum Beispiel, wenn man international vergleicht, was ein deutscher Vorstandschef im Verhältnis zum Börsenwert seines Unternehmens verdient. Die Wirtschaftswoche hat dies in Relation zu britischen und US-amerikanischen Firmenchefs gesetzt: Unter den ersten 15 dieser Liste gibt es nur einen Nichtdeutschen – auf Platz 14. Dort rangiert der Brite Bart Brecht, Chef des weltgrößten Putzmittelherstellers Reckitt Benckiser. Er verdient im Verhältnis zum Börsenwert seines Unternehmens gerade mal gut ein Viertel von dem, was Michael Frenzel einstreicht, der Chef des deutschen Reisekonzerns TUI.