Ohne Parolen Krach schlagen

Im Schatten eines leisen Lautsprecherwagens lässt es sich prima diskutieren. In der basisdemokratischen Redlichkeit der Berliner Montagsdemonstration spiegelten sich Stärke und Schwäche des gegenwärtigen Protests gegen Hartz IV

Fast kam es einem vor, als gebe es gar keinen, so leise war der Lautsprecherwagen bei der ersten Berliner Montagsdemonstration. Was ein merkwürdiges Demonstrationsgefühl vermittelte: ist doch die akustische Beherrschung des öffentlichen Raums für eine Demonstration genauso wichtig wie die physische Präsenz der Demonstranten. Denn mögen die Parolen, Wortbeiträge und Punksongs oder Arbeiterchöre mitunter noch so nervtötend sein, sie strukturieren den Raum und legen sich wie eine mobile Soundglocke über alle Beteiligten: hier sind wir, da seid ihr, das wollen wir.

Dass diese Parolenglocke an diesem Montag nur so schwächlich tönte, war wahrscheinlich schlicht dem Umstand geschuldet, dass die Organisatoren nicht mit so vielen Demonstranten gerechnet hatten, passte aber vortrefflich. Denn wenn man sich so umblickte, konnte man sich des Gefühls nicht erwehren, dass genau diese Vielstimmigkeit, die sich in der Abwesenheit vereinheitlichender Parolen erhob, genau das war, was gleichzeitig Stärke und Schwäche der Montagsdemonstration ausmachte. Da gab es obskure Gruppen, die die Einführung einer so genannten „Fairkonomie“ forderten, genauso wie die Nervensägen von Linksruck und den normalen Bürger natürlich, der sich gerne mit seinem selbst gemachten „Hartz IV muss weg“-Pappschild fotografieren ließ und den Heerscharen von Reportern, die mit ihren kleinen Digitalkameras aussahen, als arbeiteten sie für unabhängige Internetprojekte, gerne ins Mikrophon sprach, dass es so nun wirklich nicht weitergehen kann.

In ihrem Bemühen, sich von keiner großen politschen Interessenvertretung vereinnahmen zu lassen, hatte diese Demonstration eine basisdemokratische Redlichkeit, mit der zwar vor fünfzehn Jahren einmal ein ganzes System zum Einsturz gebracht werden konnte. Als Unmutsbekundung gegenüber dem größten Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik spiegelt sich in diesem Bedürfnis, mit der etablierten Politik nichts zu tun zu haben, aber die ganze Hilflosigkeit des gegenwärtigen Protests. Denn so sympathisch es ist, viele tausend Menschen auf der Straße zu sehen, die durch ihre schiere Anwesenheit signalisieren, dass sie sich nicht zum Teil des omnipräsenten medialen Reformgeschreis machen wollen: Ohne institutionell verankerbare Forderungen wird dieses Unbehagen nur auf sympathisierendes Verständnis stoßen und wirkungslos verpuffen. TOBIAS RAPP