Politische Bildung verkürzt

Niedersachsen schließt die Landeszentrale für politische Bildung. Experten fürchten, dass der Staat die Aufklärung über sein eigenes Handeln nicht mehr bezahlen will

MÜNCHEN taz ■ Die politische Bildung in Deutschland ist durch „Achtlosigkeit“ teilweise existenzbedrohend gefährdet. Zu diesem Schluss kommen staatliche Bildungsbeauftragte und freie Wissenschaftler. Bisheriger Höhepunkt sei die vom niedersächsischen Kabinett angeordnete Schließung der dortigen „Landeszentrale für politische Bildung“ zum Jahresende.

Gegenüber der taz sprach der Vizepräsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Bernd Hübinger, von einem „schwerwiegenden Präzedenzfall“. Es sei zu befürchten, dass sich andere Bundesländer in Finanznöten ein Beispiel daran nehmen. Auch bei der bpb erwartet Hübinger Kürzungen, „die auf die Sacharbeit durchschlagen werden“. Bereits nach einem Treffen der Zentralen-Chefs im Juli gaben die versammelten Beamten eine recht forsche Erklärung ab: Die niedersächsische Entscheidung erhöhe das Risiko, „dass sich der Staat aus seiner Verantwortung für die politische Bildung in Deutschland generell zurückzieht“.

Stimmt, sagt der Vize-Bundesvorsitzende der „Deutschen Vereinigung für politische Bildung“ (DVPB), Thomas Simon. Politische Bildung diene oft als Feuerwehr, „aber wenn es gerade nicht brennt, ist die Politik schnell bereit, an der Ausrüstung zu sparen“. Dabei suchten gegenwärtig gerade junge Menschen politische Erklärungsmuster zu Themen wie EU-Erweiterung oder Lehrstellenmangel.

Wolfgang Sander, Gesellschaftswissenschaftler an der Uni Giessen und Chefredakteur des Journals für Politische Bildung, sieht großen Arbeitsbedarf bei den Themen Migration und interkulturelles Lernen. „Es gibt zwar keine konzertierte Aktion zur Abschaffung der politischen Bildung, aber die faktischen Ergebnisse des Sparens sind dieselben: Am Ende sind Strukturen zerstört.“

Was nicht heißen muss, dass die Strukturen nicht überholungswürdig wären. Die Landeszentralen sind unabhängig von der Bundeszentrale und hängen meist am Kultusministerium. Die bpb dagegen gehört zum Bundesinnenministerium und mischt sich ausdrücklich nicht in Länderangelegenheiten ein. An manchen Stellen verwundert diese strikte Autonomie.

So haben etwa die insgesamt 17 Websites vollkommen unterschiedliches Niveau. Die bpb (etwa 31 Millionen Euro Jahresetat) glänzt mit dem Entscheidungshelferlein „Wahl-O-Mat“, zwei Politiklexika und PDF-Versionen der berühmten „schwarzen Hefte“ und leistet sich mit „Fluter“ ein eigenes Jugendmagazin. Dagegen wirken manche der sechzehn Landesseiten wie Überbleibsel des letzten Jahrtausends – hier betragen die Sachmittelbudgets auch nur ein bis zwei Millionen Euro je Land. Bloß eine erste Online-Zusammenarbeit (www.politische-bildung.de) gibt es.

Die gewisse Schwerfälligkeit mag auch Folge des Loyalitätsprinzips der Staatsdiener sein. „Ich muss mich als Beamter einer solchen Entscheidung beugen“ kommentiert etwa Heinz Wunderlich, Noch-Chef der niedersächsischen Landeszentrale, die Schließung seines Hauses. Um hernach aufzuzählen, was 2005 wohl alles kaputtgeht: unter anderem 180 bislang unterstützte Initiativen gegen Gewalt und Rechtsextremismus. „Es wird vermutlich niemanden mehr geben, der diesen Gruppen unter die Arme greift“, so Wunderlich. „Demokratie ist nie stabil. Jede Generation muss aufs Neue herangeführt werden.“ Müsste. MAX HÄGLER