Gemüse fliegt, Spaß siegt

Am Sonntag heißt es „Feuer frei!“ auf der Oberbaumbrücke, wenn Kreuzberger und Friedrichshainer Kiezguerilleros zur Gemüseschlacht blasen. Eine Form der Triebabfuhr, die anderenorts Tradition hat

von FELIX LEE

Der Hass sitzt tief zwischen Ossis und Wessis, zwischen links und rechts der Spree, zwischen Kreuzberg und Friedrichshain. Und nirgendwo ist dieser Hass so deutlich zu spüren wie bei der traditionellen Gemüseschlacht auf der Oberbaumbrücke. Zum ersten Mal rieben sich die verfeindeten Kulturen im Jahr 1998 aneinander, als die oktroyierte Fusion beider Bezirke in greifbare Nähe rückte – ein Albtraum für aufrechte Kiezpatrioten beider Ufer. Am Sonntag ist es wieder soweit: Mehr oder weniger pünktlich um 15 Uhr startet die „Mutter aller Schlachten“. Die Genfer Konvention wird dann für einige Stunden außer Kraft gesetzt. Zugelassen ist alles, was matschig ist, glibbert, wabbelt und stinkt. Wurfgeschosse wie verschimmeltes Obst, gammliges Gemüse und neonfarbene Puddingbomben sind die Regel. Fauler Fisch ist ausdrücklich erwünscht. Drei Wochen alte Buletten haben sich insbesondere gegenüber gegnerischen Vegetariereinheiten bewährt.

Auf Friedrichshainer Seite tragen die Kampfverbände Namen wie „Wasser-Armee-Friedrichshain (WAF)“, „Total Krasse Kreuzberg-Gegner (TKKG)“, „Friedrichshainer Feministische Frauen-Front (FFFF)“ oder auch „Anarcho-Zynistische-Offensive-Berlin-Fraktion Friedrichshain (AZOB-FF)“. Für Kreuzberg gehen unter anderem die „Kreuzberger Landwehr“ und die altgediente „KPD/RZ“ (Kreuzberger Patriotische Demokraten/Realistisches Zentrum) ins Rennen. Außerdem bekommen die Wessis nach einem Hilferuf im Internet Verstärkung aus Spandau. Mit immerhin 250 Mann wollen sich die Alt-Frontstädter dann einer erwarteten Masse von 1.500 Ossis in den Weg stellen. Die erdrückende zahlenmäßige Überlegenheit von „denen da drüben“ erklärt sich der Kreuzberger Rädelsführer Cörtlen Riza mit der Arbeitslosigkeit im Osten: „Die haben ja nix anderes, die freuen sich schon das ganze Jahr auf die Schlacht und denken, sie könnten noch mal was reißen.“

Bei der Pressekonferenz der verfeindeten Parteien kam es übrigens schon zu einem schweren Zwischenfall. Während der Patron der Friedrichshainer über die Weltlage schwadronierte, explodierte ein Silvesterknaller. Dabei wurde der Ost-Chef pulverisiert und die Jacke eines anwesenden Reporters beschmutzt. Der hinterhältige Anschlag der Kreuzberger soll aber nach übereinstimmenden Angaben beider Lager keinen Einfluss auf die Kämpfe am Sonntag haben.

Auch die echten „Bulletten“ (in Grün) wollen sich in diesem Jahr an die bewährten Kampfregeln halten. Vergangenes Jahr begingen die Ordnungshüter den Fehler, den Demonstranten „Für ein unabhängiges Groß-Friedrichshain“ die Wurfgeschosse zu verbieten. Daraufhin desertierte Oberkampfgefährte und Abgeordnetenhausmitglied Freke Over (PDS) und zog die Anmeldung kurzfristig zurück. Ungeachtet dessen strömten die Kreuzberger Truppen auf die Brücke und starteten umgehend ihre lange vorbereitete Attacke. Als Polizisten versuchten, das stinkende Material abzufangen, wurden sie selbst zum Ziel. Eine Stunde brauchten die Beamten, um das Schlachtfeld zu räumen. Für den anschließenden Großputz fühlte sich dann niemand verantwortlich.