Beilagen machen nicht satt

Die „Süddeutsche“ ist nach radikalem Sparkurs fürs Erste über den Berg. Sie plant neue Beilagen. Und nimmt die „FAZ“ ins Visier. Ziel ist die „unterhaltsam-intellektuelle Zeitung für Deutschland“

VON STEFFEN GRIMBERG

Im Hof der Süddeutschen Zeitung hinter der Sendlinger Straße in München sind unmittelbar neben dem Durchgang drei Parkplätze für die Gesellschafter reserviert. „Die sind fast immer frei“, sagt ein Mitarbeiter und geht achselzuckend weiter. Wozu denn auch: Nach der Selbstentmachtung der fünf alten Stammgesellschafter hat die Südwestdeutsche Medienholding beim Süddeutschen Verlag das Sagen.

Mit rund 150 Millionen Euro war die drittgrößte deutsche Zeitungsgruppe (Stuttgarter Zeitung, Südwest-Presse, Rheinpfalz) vor knapp zwei Jahren bei der auflagenstärksten überregionalen Qualitätszeitung eingestiegen, hatte die Süddeutsche Zeitung (SZ) auf radikalen Sparkurs gebracht und nach zweistelligen Millionenverlusten 2002 trotz anhaltender Werbekrise im vergangenen Jahr wieder knapp schwarze Zahlen geschrieben. So weit das Positive.

Dran glauben mussten der eben erst eingeführte NRW-Regionalteil, rund ein Viertel der Mitarbeiter, und beinahe wohl auch SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz. „Wir sind langsam an der Grenze“, hatte er im Frühjahr 2003 öffentlich erklärt, jetzt kämen auch noch „Leute über Unternehmensberater in unser Haus“, die alles kürzten und „die Zeitung kaputthauen“ – nicht eben eine Liebeserklärung an die neuen Herren der SZ.

Heute empfängt ein deutlich gelassenerer Kilz in seinem Büro. Mit der Verlagsleitung gebe es „keine Spannungen über den Tag hinaus“, sagt der 60-Jährige, „es hat sich eingependelt.“ Und wenn es jetzt doch noch mal knirscht, hilft der Blick auf das Sideboard hinten links: Bunt reihen sich da die Bände der SZ-Bibliothek. Mit einem derartigen Erfolg hatte tatsächlich niemand gerechnet: Bislang 65.000 Bestellungen der kompletten Serie (die meisten von Abonnenten), Rekordzahlen für Einzelbände wie „Der Name der Rose“ von Umberto Eco (über 200.000-mal verkauft). „Die Bibliothek war für das Klima im Haus sehr wichtig“, sagt Kilz, längst nicht nur für die Kulturredaktion. Und natürlich, die Einstellung des NRW-Regionalteils wurmt. „Aber man kann nicht auf fiktiven Einnahmen aufbauen“, so Kilz, egal wie hoch der publizistische Erfolg ausfällt.

Und wo der ausbleibt, erst recht: Seit Anfang des Monats reduziert die SZ ihre Regionalausgaben. 442.297 Exemplare verkauft das Blatt laut der aktuellen Statistik täglich – Auflagenrekord. Dass man den „Hauptkonkurrenten distanziert“ habe – die FAZ kommt noch auf knapp 380.000 Zeitungen am Tag – sei ja „ganz schön“, sagt Kilz mit bescheidener Koketterie. Doch trotz nationaler Zuwächse stagniert die SZ-Auflage im Stammgebiet. Wo man mit den bislang 13 Regionalteilen in Oberbayern nicht Marktführer ist, wird bis zum Jahresende ausgedünnt und zusammengelegt. Es trifft vor allem die nicht so „München-affinen Kreise im Süden“, sagt Betriebsratschef Klaus Schönauer – und knapp 50 Mitarbeiter. Ein ehemaliger Spiegel-Chefredakteur wie Kilz blicke „der Lokalberichterstattung nun mal nicht so begeistert ins Auge“, so Schonauer. Was die Verlagsleitung angeht, habe Kilz sich eben arrangiert. Immerhin: Betriebsbedingte Kündigungen soll es diesmal nicht geben.

Dafür greift die SZ künftig noch offener die FAZ an: „Etwas schlanker, übersichtlicher“ soll der Hauptteil werden. Die Wirtschaftsberichterstattung werde ausgebaut, die Berliner Redaktion gestärkt: „Wir wollen die überregionale Stimme in der Hauptstadt sein.“ Frisches Geld – von 100 Millionen Euro ist die Rede – bringt der anstehende Verkauf des Verlagsgebäudes in bester Innenstadtlage. Die SZ bleibt zunächst als Mieter, 2008 steht der Umzug nach Steinhausen an, wo das Blatt schon heute druckt.

Große Umbauten seien das nun aber wirklich nicht, wiegelt der Chefredakteur ab, es ginge nur darum, die Zeitung „à jour“ zu halten. Und dem Leser mehr zu bieten: Montags liegt der SZ jetzt ein wöchentliches Best of der New York Times bei, auf Englisch. Um über 5.000 Exemplare sei die Montagsauflage am Kiosk gestiegen, berichtet Kilz.

Es wird nicht das einzige Supplement bleiben. Neben dem Besprechungstisch in Kilzens Büro liegt ein Stapel G2. Die zweite, buntere Hälfte des britischen Guardian dürfte zu mehr als bloßer Inspirationshilfe beim Projekt „tägliches SZ-Supplement“ dienen. Die „unterhaltsame, intellektuelle Zeitung für Deutschland“ will Kilz machen, orientiert am Leser, vor allem an den jüngeren. Die Teilwiederauferstehung der 2003 eingestellten Beilage jetzt in anderer, täglicher Form? „Denkbar“, sagt Kilz.

Für den ehrgeizigen Plan werkelt aber nicht wie anderswo eine große Entwicklungsredaktion. Am SZ-S basteln knapp zehn RedakteurInnen. Zwar gibt es schon jetzt einen blauen Ordner mit 258 Seiten Ideen, Konzepten und den Ergebnissen von Leserforschung. Kilz sagt aber immer „eventuell“, wenn er vom Supplement spricht. Frühestens im Dezember, bei der nächsten Gesellschafterversammlung, könne über die wirkliche Umsetzung entschieden werden.

Denn die würde kosten, schließlich würde die SZ „nie und nimmer etwas machen, bei dem das Niveau der Zeitung nicht zu halten ist“, sagt Kilz. Zwischen 16 und 36 Seiten liegen seine Vorstellungen, dazu „zwei Dutzend“ neuer Leute.

Bücher verkaufen allein wird nicht reichen – über einen zweiten Durchgang der SZ-Bibliothek wird nachgedacht, auch über eine CD- oder DVD-Reihe. Denn die Südwestdeutsche Medienholding will Geld verdienen. Angeblich habe sie sich bei der Übernahme während der Zeitungskrise für 2004 zweistellige Umsatzrenditen vertraglich zusichern lassen. Und dann ist da noch die Streichliste der damals vom neuen starken Gesellschafter angeschleppten Unternehmensberatung Roland Berger. Nach dem NRW-Teil wären als Nächstes das SZ-Magazin und dann der eben erst runderneuerte Wochenendteil verschwunden. „Die SZ muss Geld verdienen, damit Ruhe ist“, sagt Kilz.