Die nackte Haut gerettet

Nach mehreren Angriffen auf Polizisten in Schwimmbädern behaupten CDU und „Tagesspiegel“, die Gewalt gegen Polizisten sei dramatisch gestiegen. In Wirklichkeit erfolgte dieser Anstieg vor 5 Jahren

VON PLUTONIA PLARRE

Anfang August, an einem der wenigen heißen Tage in diesem Sommer. Das Freibad Wilmersdorf ist zum Bersten voll. Die Hitze lässt den Testosteronspiegel steigen. Eine Gruppe von zur Diebstahlsaufklärung eingesetzten Polizeibeamten in Zivil versucht auf Bitten der Bademeister, einen jugendlichen Querulanten des Geländes zu verweisen. Plötzlich sehen sich die Beamten, die selbst nur Badehosen und Shorts tragen, von 20 bis 30 jungen Männern umringt. „Scheißbullen!“ und „Bullen raus!“ skandieren sie.

Die Gruppe wächst schnell auf 120 Menschen an, die Wortführer treten auf die Beamten ein. Nur mit Not gelingt es denen, ihre nackte Haut zu retten. Sie flüchten in eine Umkleidekabine. Eine über Funk gerufene Hundertschaft kommt zu Hilfe. Einigen Angreifern gelingt es, in der Menschenmenge des Bades unterzutauchen. 15 von ihnen werden vorläufig festgenommen. Sie erwartet eine Verfahren wegen Landfriedensbruchs.

Die Gewalt gegen Polizeibeamte in Berlin ist groß. „Die Zahlen sind höher als in jeder anderen bundesdeutschen Großstadt“, sagt Polizeipräsident Dieter Glietsch. „Das ist unvertretbar.“ Mit einem verstärkten Training zur Eigensicherung, das für alle Schutzpolizisten Pflicht werden soll, möchte der Polizeipräsident eine gegenläufige Entwicklung einleiten. Ganz oben auf seiner Agenda steht auch die Zuteilung von Schutzwesten. Ende des Jahres sollen rund 10.000 von insgesamt 17.000 Polizisten eine solche Weste bekommen haben. Mit Blick darauf, dass junge Männer mit Migrantenhintergrund bei den Rohheitsdelikten überrepräsentiert sind, soll die Präventionsarbeit in den Schulen verstärkt und die individuelle Betreuung der so genannten Intensiv- und Mehrfachtäter durch feste Zuständigkeiten bei Jugendamt, Polizei und Staatsanwaltschaft fortgeschrieben werden.

Mit Entschiedenheit tritt der Polizeipräsident allerdings Presseberichten entgegen, wonach die hohe Anzahl der Gewalttaten an Polizisten ein Phänomen jüngeren Datums sei. „Gewalt gegen Polizisten nimmt drastisch zu“, hatte der Tagesspiegel unlängst unter Berufung auf eine bislang unveröffentlichte Studie behauptet. Die Zahl der im Einsatz angegriffenen und verletzten Polizisten sei „alarmierend angestiegen“ – von 997 im Jahr 1997 auf 1.602 Fälle 2003.

Was die Zeitung geflissentlich unterschlägt: Die Steigerung ist nicht von gestern auf heute erfolgt, sondern bereits zwischen 1997 und 1999 – nämlich von 997 registrierten Angriffen auf 1.523. Seither bleiben die Zahlen – plus/minus 100 – auf einem unverändert hohen Niveau.

Durch solche Publikationen, kritisiert Glietsch, „wird der bedenkliche Eindruck einer dramatischen Entwicklung erweckt“. Die Gründe für die Steigerung von 1997 auf 1999 verantwortlich waren, könne er nicht mehr nachvollziehen, da er erst seit 2002 im Amt sei. In einem Punkt lasse die Gewaltstudie allerdings hoffen: Der Widerstand gegen Polizisten ist in den letzten sieben Jahren deutlich zurückgegangen. 1997 waren es 4.027 Fälle, im Jahr 2.000 noch 3.691, und 2003 wurde mit 3.144 Fälle der Tiefststand erreicht.

Die CDU scheint das allerdings noch nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Der Vorfall in Wilmersdorf war den CDU-Abgeordneten Frank Henkel und Peter Trapp im parlamentarischen Innenausschuss vergangene Woche Anlass genug, um von einer „neuen Qualität“ der Gewalt gegen Polizisten zu sprechen. Tenor: Wie schlimm muss es sein, wenn es jetzt schon in Schwimmbädern zum Landfriedensbruch kommt.

Laut Glietsch hat es in diesem Sommer in den Freibädern insgesamt drei Vorfälle gegeben hat, die einen größeren Polizeieinsatz notwendig machten. Am 5. August gingen im Kreuzberger Prinzenbad mehrere Jugendliche mit Flaschen und Baseballschlägern aufeinander los, ein 22-Jähriger bekam ein Messer in den Rücken.

Am 5. August gab es einen Einsatz in Wilmersdorf, und im Freibad Pankow lieferten sich 50 Angehörige von zwei libanesischen Großfamilien eine Massenschlägerei. Eine Person bekam einen Pflasterstein an den Kopf. Alles „Einzelfälle“, sagt Glietsch, aus denen sich „keine andere Entwicklung als in den Vorjahren ableiten“ lasse. Die Polizei habe es in den Bädern ansonsten fast ausschließlich mit Diebstahlsanzeigen zu tun.