Scharfe Erinnerung

Blair habe versucht, die BBC einzuschüchtern, schreibt deren geschasster Generaldirektor Greg Dyke – und verlangt weitere Rücktritte bei der BBC

VON STEFFEN GRIMBERG

Es ist still geworden um die BBC. Nach Hutton-Report und Führungswechsel in den Chefetagen war bei der Mutter aller öffentlich-rechtlichen Anstalten Ruhe erste Bürgerpflicht. Seit Sonntag ist damit Schluss: Der wegen der Kelly-Affäre zurückgetretene ehemalige BBC-Generaldirektor Greg Dyke erhebt schwerste Vorwürfe gegen Premier Tony Blair und das BBC-Aufsichtsgremium Board of Governors.

Dyke und der BBC-Chairman Gavyn Davies traten Ende Januar ab, nachdem der Bericht von Lordrichter Brian Hutton der BBC die Hauptverantwortung am Tod des Waffenexperten David Kelly zugewiesen hatte. Hintergrund war die erbitterte Auseinandersetzung zwischen BBC und Blair über die Irakberichterstattung der Anstalt. Kelly war Quelle eines Berichts über ein angeblich manipuliertes Dossier über irakischen Massenvernichtungswaffen und hatte sich nach seiner Enttarnung umgebracht.

Blair habe versucht, ihn bereits während des Krieges mit mehreren Briefen einzuschüchtern, schreibt Dyke in seiner Autobiografie, von der erste Auszüge am Sonntag in britischen Zeitungen erschienen. „Ich glaube, und damit stehe ich nicht allein, dass [die BBC-Berichterstattung] nicht die richtige Balance zwischen Unterstützung und Ablehnung; zwischen Nachricht und Kommentar, […] hinbekommt“, zitiert Dyke aus Blairs erstem Schreiben vom 19. März 2003. „Meine Sicht der Dinge war klar: Wenn die Regierung versucht, die BBC unter Druck zu setzen, würde ich zurückschlagen“, schreibt Dyke, „der Kampf war endgültig eröffnet.“

Nixons Schatten

Blair habe auch seinen Kommunikationsdirektor Alastair Campbell nicht mehr unter Kontrolle gehabt, so Dyke: Campbell habe aus der Regierung etwas gemacht, was „an das Weiße Haus unter Nixon erinnert. Man war entweder für oder gegen sie.“

Dem BBC-Aufsichtsgremium Board of Governors wirft Dyke vor, „wie verängstigte Kaninchen im Autoscheinwerferlicht“ gehandelt zu haben. „Es gibt keinen größeren Verrat der BBC-Prinzipien, als unter politischem Druck einzuknicken.“ Die weiterhin amtierenden Governors sollten zurücktreten: „Die BBC hat Besseres verdient.“

Mit seiner Autobiografie „Inside Story“ bricht der lebenslange Labour-Förderer Dyke auch endgültig mit der Familie Blair, trotz angeblich 20-jähriger Freundschaft mit Tonys Frau Cherie. Als sich beide auf dem Höhepunkt der BBC-Blair-Auseinandersetzung im Sommer 2003 zufällig beim Tennisturnier in Wimbledon trafen (siehe Foto), „guckte Cherie einfach durch mich durch“, lamentiert Dyke. – Neben den absolut ernst zu nehmenden Vorwürfen verrät „Inside Story“ also auch manches über verletzte Eitelkeiten.

Die Blair-Regierung ließ die britischen Medien am Sonntag wissen, „Dyke habe ein Recht auf seine Meinung. Allerdings teilen wir sie nicht.“ Nach mittlerweile vier Untersuchungskommissionen zum Irakkrieg sei „nichts mehr hinzuzufügen.“ Die BBC versucht derweil krampfhaft, sich in ihrer Grabesruhe nicht stören zu lassen. Auf taz-Anfrage teilte sie lediglich mit, man werde „zu den Veröffentlichungen keinen Kommentar abgeben“.