Selbstkritik ist den Vertriebenen weiter fremd

Inzwischen fordert Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach keine Entschädigungen mehr, sondern nur noch eine symbolische Anerkennung für das erlittene Unrecht. Die Rolle der Vertriebenen zur Nazizeit wird weiter ausgeblendet

BERLIN taz ■ Ihren „Tag der Heimat“ am Sonnabend hat der Bund der Vertriebenen (BdV) zum Anlass genommen, dem tschechischen Politik-Wissenschaftler Bohumil Doležal die Ehrenplakette des Bundes zu überreichen. Doležal, einst aktiv in der Menschenrechtsbewegung „Charta 77“, ist nach einem Ausflug als Politikberater zur Prager Karlsuniversität zurückgekehrt.

Doležal gehört zu den wenigen tschechischen Intellektuellen, die sich hinsichtlich der Vertreibung der Sudetendeutschen nicht mit der Formel begnügen „Lassen wir das Vergangene ruhen und schauen wir in die Zukunft“. Er plädiert dafür, dass die tschechische Gesellschaft das Vertreibungsunrecht beim Namen benennt, und zwar letztlich zum demokratischen Nutzen der Tschechen selbst. Diese nonkonformistische Haltung hat Doležal viel Kritik in Tschechien, dafür aber die Sympathie Steinbachs eingetragen. Wer allerdings geglaubt hatte, die BdV-Chefin würde anlässlich dieser Feier ihrerseits Selbstkritisches über die Haltung der sudetendeutschen Eliten zum Naziregime sagen, sah sich getäuscht. Quälende Selbstbefragungen sind immer nur die Aufgabe der Anderen.

Steinbach beschwor in ihrer Eingangsrede erst die Erinnerung an das erlittene Leid der (deutschen) „Schicksalsgefährten“, um sich dann im zweiten Teil dem brisanten Thema der Eigentums- und Entschädigungsfragen zuzuwenden. Sie schilderte zur Einstimmung das grauenhafte Schicksal der Donauschwaben, zumeist Frauen und Kinder, die nach 1944 im Jugoslawien Titos unter unmenschlichen Bedingungen interniert wurden und massenhaft starben.

Gewiss, Unrecht kann nicht mit Unrecht aufgerechnet werden. Aber sosehr Steinbach die Verbrechen der Nazis allgemein anprangerte, von der Hinwendung vieler gerade der jüngeren Donauschwaben zum Nazismus und den daraus folgenden Untaten war nichts zu hören. Das war emotional sehr wirksam – zumal die Erinnerung an die sterbenden Kinder im Lager Rudolfgrad in der Vojvodina durch die Geiselnahme in Nordossetien auch aktuelle Bezüge bekam –, aber es ist eben nicht mal die halbe Wahrheit.

Anschließend warf Erika Steinbach Bundeskanzler Schröder ein weiteres Mal vor, hinsichtlich der Entschädigungsansprüche der Vertriebenen doppelzüngig vorzugehen. Man könne nicht die fortbestehende Rechtslage konstatieren – die private Vermögensfragen aus den völkerrechtlichen Verträgen ausklammert – und die Vertriebenen daher auf den Klageweg verweisen, während man gleichzeitig in Warschau erkläre, die Bundesregierung werde bei eventuellen Klagen für deren Abweisung eintreten. Das sei „unanständig“. Erneut trat Steinbach dafür ein, dass weder die polnische noch die deutsche Seite künftig Forderungen gegeneinander erheben sollten („Null-Option“). Sie ließ allerdings offen, ob sie Entschädigungsforderungen der Vertriebenen gegen die Bundesrepublik unterstützen würde. Die „Preußische Treuhand“, eine private Aktiengesellschaft, die vor polnischen Gerichten wie vor dem Europäischen Gerichtshof Entschädigungsklagen vorbereitet, wurde von ihr erneut scharf verurteilt – was mit einzelnen Buhrufen quittiert wurde.

Steinbach legte Wert darauf, dass es den Vertriebenen nicht ums Geld gehe, sondern um die Anerkennung des Unrechts. Also um Gesten. Gemessen an der bisherigen Haltung des BdV ist das eine Flucht nach vorne. Als Hauptaufgabe sah sie an, die Erinnerung an die Vertreibung im kollektiven Gedächtnis zu verankern – daher die Bedeutung des Zentrums gegen Vertreibungen. Die zögernden Reaktionen des Publikums legen nahe, dass der Streit „Entschädigung oder Gedächtnis“ noch keineswegs entschieden ist. CHRISTIAN SEMLER