Grüße an die Alte Heimad

„Und trinken eine Flasche Wein und lassen ’s Deutschland ’s Deutschland sein“: Das Haus der bayerischen Geschichte in Nördlingen zeigt in einer umfangreichen Ausstellung, was für eine komplizierte Angelegenheit eine Auswanderung nach Amerika war – und wie vielfältig die Gründe dafür waren

VON KLAUS HILLENBRAND

„Jetzt ist die Zeit und Stunde da, / wo wir reisen nach Amerika, / die Wagen stehn schon vor der Tür, / mit Weib und Kind marschieren wir. […] // Dann gehn wir in an Gasthof nein, / und trinken eine Flasche Wein, / und trinken eine Flasche Wein / und lassen ’s Deutschland ’s Deutschland sein!“

Diese Strophen des „Amerika-Lieds“ wurden Mitte des 19. Jahrhunderts in Schwaben gesungen. Sie erinnern an eine Bewegung, die mehr als 300 Jahre Millionen in Deutschland umfasste – die Emigration in die Neue Welt. Mit einer umfassenden Ausstellung hat das Haus der Bayerischen Geschichte nach den Motiven der Auswanderer geforscht und Geschichten und Erinnerungen diesseits und jenseits des Atlantiks bis in die heutigen Tage gesammelt. Es ist eine Darstellung entstanden, die deutlich macht, wie verschieden die Gründe für die große Überfahrt waren – und ebenso das Schicksal der Emigranten in ihrer neuen Heimat.

Denn ausgewandert wurde schließlich nicht nur aus der nackten Not heraus, wenn dies auch ein vorherrschendes Motiv im 18. und 19., ja auch im 20. Jahrhundert war. Politische Unterdrückung, fehlende Religionsfreiheit, Armut – es ist, im Nachhinein betrachtet, eher verwunderlich, dass so wenige Menschen Deutschland und Bayern verließen. Denn eigentlich – das wird bei der Ausstellung deutlich – gab es deutlich mehr Gründe für die Emigration als fürs Daheimbleiben.

Freilich konnte man aus Bayern bis ins Jahre 1871 nicht so einfach heraus: Eine Genehmigung war notwendig, Geburts- und Taufzeugnis, Vermögensnachweis, Leumundszeugnis, Nachweis des Familienstands, Schulabschlusszeugnis, Bestätigung über die Ableistung des Kriegsdienstes, dazu Gläubigerschutz. So eine Auswanderung war eine komplizierte Angelegenheit, noch bevor man den Fuß nur einen Schritt außerhalb des Königreichs setzen konnte. Und die bayerische Staatsangehörigkeit verlor man obendrein – noch bevor die amerikanische erworben werden konnte.

In der Nördlinger Schau bekommen die hunderttausende, die den Sprung gewagt haben, stellvertretend ein Gesicht: Da sind Jacob Dahlem und seine Ehefrau aus Maxweiler, die es um 1856 als Mennoniten nach Amerika zog. Pater Bonifaz Wimmer aus Metten verließ für die katholische Mission Bayern. Und Michael Ries musste wegen der Diskriminierungen gegenüber den Juden sein Dorf Hainsfarth verlassen.

Anders liegt der Fall bei dem Anarchisten Johann Most. Der Augsburger ist nicht nur in halb Europa verfolgt worden, auch in den USA wurde er zu Zwangsarbeit in einem US-Zuchthaus verurteilt. Ganz spezielle Gründe hatte wiederum ein gewisser Hans Boessl im Jahre 1911. Der Bankbesitzer hatte in Bayern Wechsel in Höhe von 200.000 Mark gefälscht und schiffte sich anschließend unter falschem Namen nach Amerika ein. Per Steckbrief („100 Dollar Reward!“) fahndete das „Imperial German Consulate“ in Chicago nach dem Wirtschaftsverbrecher – und brachte ihn schließlich nach Deutschland zurück.

Als Beispiel für die Emigration unter dem NS-Regime sehen wir die riesenhafte bayerische Lederhose des antifaschistischen Schriftstellers Oskar Maria Graf, die er bei einem kurzen Besuch aus New York in der alten Heimat vor 44 Jahren getragen hat.

Was ist aus ihnen geworden nach Bürokratenkrieg und Fragebögen für Auswanderungswillige? Sie haben es geschafft zu den Häfen, wo die Überseedampfer mit Zwischendeck nach New York oder Baltimore ablegten.

Viele sind schon auf dem Atlantik gestorben. Angesichts mangelhafter Lebensmittel- und Wasserversorgung, qualvoller Enge in stickiger Luft und fehlender medizinischer Hilfe erlebten etwa zwischen 1865 und 1867 0,38 bis zu 5,45 Prozent aller Auswanderer aus Europa ihre Ankunft in Amerika nicht. Von denen aber, die Ellis Island vor New York erreichten, sind häufig nur Zeugnisse erhalten, die es später auch zu etwas gebracht haben und in Wohlstand leben konnten.

Johann Nikolaus Dietel zum Beispiel. Der wanderte 1848 aus Kleinlosnitz in Oberfranken nach Iowa aus. Sechs Jahre später hatte er so viel Geld gespart, dass er sich 75 Hektar Wiesen und Wald, zwei Ochsen, einen Wagen und einen Pflug kaufen konnte.

Für alle Auswanderer aber gilt folgender Satz: „Das Leben, Geschäft, Arbeit und alles was damit zusammenhängt hier ist es sehr Verschieden von dem in der Alten Heimad“, wusste schon Joseph Wühr, der aus dem Bayerischen Wald gekommen war, über Amerika zu berichten.

Nördlingen, Alte Schranne: bis 7. November. Vom 9. Dezember bis zum 6. März 2005 in Rosenheim. Katalog 18 €