Die Ausbeutung der Kunst

Nichts traut sich Flick zu zeigen, was nicht schon längst abgesegnet wäre

VON BRIGITTE WERBEBURG

Das viele Geld, das Friedrich Christian Flick in seine Kunstsammlung steckte, macht sich bezahlt. Es führt nun den Hamburger Bahnhof in Berlin tatsächlich einen gewaltigen Schritt näher an jene Gegenwartskunst heran, die das Museum in seinem Titel trägt. Das ist die gute Nachricht über die „Friedrich Christian Flick Collection im Hamburger Bahnhof“, die seit heute für die Öffentlichkeit zugänglich ist.

Die schlechte Nachricht lautet: von einer sicheren Ausstellung in die andere. Kaum endete das MoMA mit seinem Kuratieren nach Postkarten, wie Michael Kimmelman von der New York Times in seiner Kritik Warhols Malen nach Zahlen variierte, findet man sich schon in der nächsten Ausstellung einwandfreie Kunst wieder. Nach dem Kanon der Moderne nun also der der Gegenwart. Nichts scheint hier zu fehlen, was gut, teuer und weitgehend durchgesetzt ist – nur eben die paar Risikokandidaten, die Leben in das wohlsortierte Haus brächten. Doch die sind nicht zu sehen. Bislang jedenfalls.

Dabei mag es bei Eintritt in den Hamburger Bahnhof durchaus so scheinen, als ob hier der Bär brummt. Jason Rhodes, wer sonst, belegt die alte Bahnhofshalle mit all den Elektrobauteilen und sonstigen Gerätschaften, die den Künstler zum Weltengebärer machen, kaum stapelt er all den Wohlstandsmüll nur einigermaßen unübersichtlich im Raum. Dem „Schöpfungsmythos“ wichen Anselm Kiefers Bleibibliothek und Mario Merz’ Glasiglu, die Sammlung Marx zog für Flick temporär aus. Auf Rhodes folgt ein weiterer Großmeister: Paul McCarthy. Sein ausladendes „Saloon Theater“ (1995–99) samt Flickerporno ist freilich nicht seine beste Arbeit.

Das fällt auf. Denn es ist ja nicht so, das Friedrich Christian Flick nicht bekommt, was er will. Viel Geld macht fast alles möglich. So etwas wie Sammlungslücken gibt es im Bereich der Gegenwartskunst jedenfalls nicht, besagen die älteren, inzwischen raren Arbeiten von großen Namen, die die Ausstellung aufweist. Nam June Paiks erster automatischer Roboter K 456 von 1963/64 findet sich ebenso in ihr wie sein „TV Bra for Living Sculpture“ (1969) aus der Performance mit Charlotte Moorman oder Dan Grahams Text/Bildarbeit „Homes for America“ von 1966.

Flick, der erst Anfang der 90er-Jahre zu sammeln begann, muss für solche, schon lange berühmten Arbeiten teuer bezahlt haben. Und teuer kam ihn auch die Vollständigkeit der einzelnen Werkgruppen zu stehen. Wenn Thomas Ruffs „Interieurs“, dann bitte alle! Und dazu 92 Wartesäle, die der Schweizer Künstler Jean-Fréderic Schnyder in Öl gemalt hat. Sie hängen entlang dem endlosen Korridor, der die ursprüngliche Rampe der Rieck-Lagerhalle überwölbt, und begleiten einen nach hinten, ans entgegengesetzte Ende zur Brücke, die den Hamburger Bahnhof mit der Halle verbindet. Dort finden sich die Toiletten, die Damen & Behinderten einen Bereich zuweisen, den Herren einen anderen, eigenen. Mehr muss zur Architektur des Umbaus durch Kühn/Malvezzi nicht gesagt werden.

Reichlich wurde nun die zeitungslesende Öffentlichkeit in den letzten Tagen mit seitenlangen Artikeln nicht über seine Sammlung, sondern über seine Person versorgt. Tenor all der Psychogramme: Wer eigentlich ist Friedrich Christian Flick? Die Antwort, die seine Sammlung gibt: ein Streber. Nichts erlaubt er sich hier falsch zu machen, nichts traut er sich zu zeigen, das nicht längst abgesegnet wäre, und fast immer ist er in der Lage, die besten Arbeiten zu kaufen. Alles tadellos. Setzen, Note eins. Etwa für Dieter Roths „Soloszenen“ auf 128 Videomonitoren mit den Aufzeichnungen während seines Alkoholentzugs; für Thomas Schüttes plastische Installation „Mohr’s Life“, die durchaus anzüglich Künstlerleben mitsamt Sammlerbetrieb kommentiert; oder für Bruce Nauman, dessen wuchtige Selbsterfahrungskorridore und Videos zeigen, dass die Kleihues-Halle nicht nur Gemäldegalerie sein muss.

Flick kam die Vollständigkeit der Werkgruppen teuer zu stehen

Eine „Teilwahrheit“, wie der Raum übertitelt ist, nach einem schwarzen Granitobjekt, in das eben diese Worte „Partial Truth“ gemeißelt stehen. Sammeln ist eines, Verstehen etwas anderes. Die Eleganz und Gediegenheit der Sammlungsausstellung ist nur die halbe Wahrheit, nicht allein, was den politischen Streit um die Kollektion angeht, sondern auch, was die Kunst selbst betrifft. Die Ästhetik des Aufbaus, für den Eugen Blume, der Leiter des Hamburger Bahnhofs, verantwortlich ist, eliminiert jede politische Botschaft der Kunstwerke. Selbst das ironische „Hier und jetzt zufrieden sein“, das die Halle krönt, die eine Kollaboration zwischen Wolfgang Tillmans und Isa Genzken zeigt. Sarkastisch-programmatisch findet sich hier eine Clubraumfotografie hinter einem Spiegelbau-Narziss an seiner Quelle.

Nicht weniger narzisstisch gebärden sich denn auch die Berliner Museen und das offizielle Berlin, der Kanzler, der in Begleitung der Staatsministerin für Kultur, Medien und dem Regierenden Bürgermeister die Ausstellung gestern Abend eröffnete. Ohne einen Blick nach vorne oder hinten zu werfen, war man von Anfang gewillt, sich eitel im Glanz einer Sammlung zu spiegeln, die pauschal als einzigartig und unübertroffen gerühmt wurde. Einzigartig und unübertroffen ist aber allein das viele Geld, das Flick investiert hat, um auf sehr hohem Niveau das kanonisch zusammenzutragen, worüber unter internationalen Sammlern sowieso bestes Einvernehmen herrscht. Der so genannte Supercollector Charles Saatchi, mit dem Flick oft verglichen wird, hat immerhin eine ganze Reihe junger Künstler entdeckt und gemacht. Das lässt sich von Flick, wie er sich nun präsentiert, nicht behaupten.

Und so rückt das spezifisch Unübertroffene dieser Sammlung gängiger, verdienter Künstler, das investierte Kapital den Namen Flick doch wieder in den Vordergrund. Und der andere Teil der Wahrheit, die Geschichte, dass einmal Zwangsarbeiter zum Aufbau dieses Vermögens beigetragen haben, verliert sich keineswegs in den gewaltigen Schlagschatten, den die Kunstwerke ob ihrer Großartigkeit werfen sollten. Doch das wussten die Verantwortlichen von Anfang an. Es war nie die Kunst, die Flick in seiner auffälligen Treue zur ideologischen Linie seines Großvaters in der Zwangsarbeiterfrage rehabilitieren konnte, das konnte nur die Politik. Sie war es, die die Standortfrage und die schlechte Museumspolitik in Berlin zum Anlass nahm, zu zeigen, wer im Bereich der Kultur die Diskurshoheit hat.