Söder kommt!


Er ist nicht der Typ für Bierzelte und Basis-Kumpanei. Dafür ist Söder viel zu smartJüngst forderte er einen Feiertag zur Fußball-WM – ein schlimmer Rückfall

AUS MÜNCHEN UND SULZDORF JÖRG SCHALLENBERG

Markus Söder kommt zu spät. Viel zu spät. Das passiert ihm sonst nie. Bis jetzt war Söder immer zur richtigen Zeit am rechten Ort, zuletzt vor einem knappen Jahr, als nach der Landtagswahl in Bayern die Stelle des CSU- Generalsekretärs zu vergeben war. Der in Ungnade gefallene Thomas Goppel wurde ins Wissenschaftsministerium delegiert, als Nachfolger inthronisierte Edmund Stoiber seinen Adlatus Markus Söder, damals gerade 36, in der CSU-Zentrale an der Nymphenburger Straße in München. Ein rasanter Aufstieg.

Von der Nymphenburger Straße bis nach Sulzdorf an der Lederhecke sind es allerdings fast 300 Kilometer auf einer Autobahn, die am frühen Abend so verstopft ist, dass auch der schwere Dienst-BMW nicht schneller vorankommt als ein altersschwacher VW Käfer. Deswegen trifft Markus Söder viel zu spät am Festzelt ein, das auf einer Wiese am Ortsrand steht.

Der örtliche CSU-Abgeordnete musste die Besucher in der Zwischenzeit mit einer improvisierten und nicht unkomischen Rede bei Laune halten – was keine leichte Aufgabe war. Denn es verlieren sich nur an die 120 Besucher im großen, düsteren Zelt, obwohl die örtlichen Christsozialen geladen haben und die Schilder schon 20 Kilometer zuvor entlang der Landstraße künden: „Söder kommt!“

Nun ist er endlich da. Und sieht mit einem Blick, dass es keine leichte Aufgabe wird. Zwar spielt die Blaskapelle zum Empfang schmissig auf, aber die Stimmung im Zelt ist gedrückt. Sulzdorf an der Lederhecke liegt am Rande Unterfrankens. Hinter dem nächsten Hügel beginnt Thüringen, ein paar Kilometer nördlich verläuft die Landesgrenze zu Hessen. Früher war hier Zonenrandgebiet, jetzt gehört die Region zu den strukturschwächsten Gebieten im Freistaat. Da bleibt man skeptisch, wenn sich die CSU-Prominenz aus München doch mal ans Ende ihrer Welt verirrt.

Söder spürt das, und er wirkt, als lähme ihn diese Reserviertheit. Zwar stellt sich der gebürtige Nürnberger forsch als „fränkischer Generalsekretär“ vor und biedert noch ein bisschen weiter: „Ohne Franken wäre Bayern nur die Hälfte wert.“ Das Publikum springt nicht darauf an. Gut, dann hält er eben seine Rede.

Über Deutschland, das „hammermäßig pleite“ ist, über die rot-grüne „Pfuschertruppe in Berlin“, über „Öko-Abzocke“ und Ost-Protestierer mit DDR-Fahnen, denen man über so viel Undankbarkeit gleich den Länderfinanzausgleich streichen sollte. Es ist das routinierte Programm deutscher Generalsekretäre, denen die Pflicht zum gelegentlich blinden Draufhauen ganz oben in ihre Arbeitsverträge geschrieben wird.

Gleichzeitig sollen sie aber den Laden, die Partei, nach innen zusammenhalten – und da hat Söder nicht nur hier in Sulzdorf ein Problem. Er ist einfach zu jung, zu gewandt und zu smart im schmal geschnittenen braunen Anzug, als dass man ihn hier, hart am Osten, auch nur annähernd als „einen von uns“ begreifen würde. Selbst wenn Söder verbal austeilt, gerät das nie deftig oder krachledern. Er ist nicht der Typ für Bierzelte und Basis-Kumpanei.

Weitaus weniger deplatziert wirkt Markus Söder in seinem hellen, sparsam, aber stilvoll möblierten Büro in der Münchner Parteizentrale. Hier, wo sein Vorgänger Thomas Goppel zwei reichlich verfeindete Grüppchen zurückließ, hat Söder – so ist aus verschiedenen Zimmern des Hauses zu vernehmen – binnen kurzer Zeit für frischen Wind und entspannte Atmosphäre gesorgt. „Söder“, sagt CSU-Pressechef Bernhard Schwab strahlend, „ist ein Teamplayer, der kann die verschiedensten Leute wunderbar einbinden.“

Das hat ihm einige Anerkennung gebracht – und die benötigt der wortgewandte Knapp-zwei-Meter-Mann dringend. Denn innerhalb der CSU war Söder lange Zeit noch umstrittener als im Rest des Landes. „Der ist emotional nicht in der Partei beheimatet“, hieß es im CSU-Präsidium, ein altgedienter und hoch respektierter Landtagsveteran nannte ihn „intellektuell blamabel“, ein anderer bezeichnete ihn als „Mann ohne Werte“.

Markus Söder galt als karrieregeiler Neoliberaler, der die soziale und christliche Komponente der Partei nur belächelte, vor allem aber als ein Sprücheklopfer, den es beinahe pathologisch in die Öffentlichkeit drängte. Jüngst, da hatte er wieder einen schlimmen Rückfall. In der Bild am Sonntag forderte der Mann, der im persönlichen Gespräch einen durchaus seriösen Eindruck hinterlässt, ernsthaft einen Feiertag zur Eröffnung der Fußball-WM 2006 – damit sich die Deutschen „gemeinsam als weltoffene Nation präsentieren“: „Gewerkschaften und Arbeitgeber könnten vereinbaren, dass die Betriebe zubleiben und dieser Tag später reingearbeitet wird.“

Zack, da war er wieder: der Firlefranz Söder, der Lothar Matthäus der CSU, der bei so einem Schwachsinnsthema einfach nicht die Klappe halten kann. Wie in jenen, nicht lang zurückliegenden Zeiten, in denen Söder für die Erhaltung der Mainzelmännchen stritt, Wiedergutmachung für die schlechte Darstellung eines Fernsehkommissars aus Franken forderte und Jugendliche unter 14 Jahren abends nicht mehr auf die Straße lassen wollte. Als ehemaliger Fernsehredakteur beim Bayerischen Rundfunk weiß er einfach zu gut, mit welchen Themen man in die Schlagzeilen kommt.

Auf Dauer allerdings gehen solche Schnellschüsse nach hinten los. Dass ihn die taz mal für den vakanten Posten des Hofnarren im englischen Königshaus vorschlug, gefiel auch manchem in der CSU. Doch selbst denen, die gern feixen, ist klar geworden, dass Söder wesentlich bessere Chancen hat, früher oder später am bayerischen Hof, der Staatskanzlei, zu landen. Als Ministerpräsident.

Niemand in der CSU wird so gezielt von Parteichef Edmund Stoiber gefördert wie Markus Söder – zumal sich die einzig ernsthafte Konkurrentin seiner Altersklasse, Monika Hohlmeier, gerade selbst aus dem Rennen bugsiert hat. Früher als andere mag Stoiber erkannt haben, dass man das scheinbare politische Leichtgewicht Söder nur etwas mehr mit Inhalten und Werten beschweren muss, um am Ende eines zweifellos nötigen Reifungsprozesses einen Kronprinzen hervorzuzaubern, der eine moderne, der Zukunft zugewandte CSU verkörpern kann.

Unters Söders Ägide bemüht sich die CSU zurzeit, ein neues außenpolitisches Profil zu entwickeln, außerdem kümmert man sich plötzlich beherzt um alternative Energien, weil man nicht nur als ewiggestrige Atomlobby dastehen will. Söder, im Herzen ein kreuzbiederer Hüter der Familie, ist außerdem niemand, der noch ernstlich darüber diskutieren will, ob die Homoehe eine Bedrohung für die Gesellschaft ist.

Schließlich, und vielleicht am wichtigsten, wirkt Söder mit seiner ruhigen, geschliffenen Rede und dem strahlenden Lächeln so telegen, wie es Stoiber nie konnte. Möglicherweise darf die CSU ja irgendwann mal wieder einen Kanzlerkandidaten stellen, der ins TV-Duell muss. – Doch das ist ein weiter Weg.

Stoiber hat ihn auf die Spur gesetzt, nur entgleisen darf er nicht. Einer mit losem Mundwerk muss da besonders achtsam sein. Als Generalsekretär bemüht sich Söder jetzt deshalb vorrangig darum, ernst genommen zu werden. Wenn man mit ihm spricht, referiert er statt übers Sandmännchen lieber über Wirtschaftspolitik und Klimaschutz – und vor allem über die „besondere Verantwortung meiner Generation“.

„Meine Generation“ – das ist eine von Söders Lieblings-Plattitüden. Denn diese Generation, da erhebt sich seine sonst stets gleichmäßige Stimme, „MUSS etwas verändern in diesem Land“. Diese Generation, findet Söder, „kann sich nicht mehr um ihre Aufgaben rumdrücken“. Und bevor man nachhaken kann, was das denn so über die älteren Politikergenerationen aussagt, schiebt Söder noch schnell nach: „Man braucht auch nicht ewig zurückblicken, wer Schuld hat, das bringt nix.“

Es sind Momente wie dieser, in denen man ins Zweifeln über Markus Söder gerät: Einerseits wirkt er engagiert und sachlich – um sich dann glatt und clever einer tiefer gehenden Auseinandersetzung zu entziehen. In Fernsehdiskussionen, in denen Söder meist eine gute Figur macht, läuft es ähnlich ab. Es ist diese eingebaute Distanz, dieses schwach Ölige, das wohl auch die Sulzdorfer innerlich zurückzucken ließ.

Söder spürt das selbst. Deshalb müht er sich permanent, seine Bodenständigkeit und seine Wertebindungen hervorzukehren. Er betont immer wieder die Erdung durch seinen Wahlkreis im Nürnberger Westen – eine schwierige Ecke mit einem Ausländeranteil an die 30 Prozent, hoher Arbeitslosigkeit und „einer Menge sozialen und familiären Verwerfungen“, wie Söder sagt. Wenn er dann die Streichung von Kindergeld für Eltern fordert, die sich zu wenig um ihren Nachwuchs kümmern, ist das Söders Art, darauf zu reagieren. Mit Erfolg: Bei der letzten Bayernwahl hat er den traditionell eher sozialdemokratischen Wahlkreis mit 54,8 Prozent gewonnen.

Aber das ist in Nürnberg, der Industrie- und Messestadt. Im düsteren Festzelt am Rande Bayerns kann Söder nur zweimal großen Applaus entfachen. Zum einen, als er darüber schwadroniert, dass im christlichen Freistaat für alle Zeit nur das Kruzifix statt des Kopftuches geheiligt werden darf – als wenn da eine Gefahr drohte. Blanker Populismus, aber der zieht hier. Noch größer ist die Begeisterung nur, als Söder über seinen erklärten Lieblingsverein, den 1. FC Nürnberg, spricht.

Das ist einer jener seltenen Augenblicke, in denen Markus Söder ganz bei sich ist. Wie so viele Männer wird er nur persönlich, wenn es um Fußball geht. Diese Eigenschaft teilt er im Übrigen mit einem seiner Vorgänger im Amt des Generalsekretärs, der 1978 im Alter von 36 Jahren in die CSU-Zentrale zog. Er wurde vom großen Vorsitzenden Franz Josef Strauß nach Kräften gefördert und war in der Partei reichlich umstritten. Viele unkten, dass er es mit seiner kalten Art nie weit in der CSU bringen würde. Sein Name: Edmund Stoiber.