Moderne Zeiten

Der Journalist der Zukunft wird der Videojournalist sein: Reporter, Cutter, Kameramann und Tonmann in einer Person – meint Michael Rosenblum

VON CLAAS VORHOFF

Schon seit über zwanzig Jahren ist der amerikanische TV-Journalist Michael Rosenblum auf einer Missionsreise. Er will die Welt bekehren, auf seine Art Fernsehen zu machen. Sein Gott heißt VJ.

Der Videojournalist soll in Zukunft Reporter, Kameramann, Tonmann und Cutter gleichzeitig sein. Bessere, billigere und leichtere Kameras und leistungsfähigere Schnittcomputer im Laptop-Format machen es möglich. Mehr Kreativität, mehr Individualität, mehr Autorenschaft und mehr Demokratie sind die Heilsversprechen.

Rosenblum formuliert das so: „Das Fernsehen steckt doch noch in einem dunklen Zeitalter, steckt noch im Mittelalter seiner Entwicklung. Als es erfunden wurde, wusste man eigentlich gar nicht, was man damit anfangen sollte. Deshalb kopierte man Hollywood. Deshalb gibt es auch heute noch die ganzen Berufsbezeichnungen – Regisseur, Producer, Kameramann. Wie Hollywood wird das Fernsehen kontrolliert von wenigen Leuten, die entscheiden, was wir sehen. Fernsehen, so wie wir es kennen, ist von Grund auf nichtdemokratisch.“

Für Rosenblum ist die technische Revolution der letzten Jahre, die den VJ erst möglich gemacht hat, auch eine mediale. Jeder soll Fernsehen machen. Wie nach der Erfindung des Buchdrucks sollen sich revolutionäre Ideen verbreiten, weil weniger Beteiligte weniger Kontrolle ausüben. Das klingt nach einer netten Vision und erinnert ein wenig an Brecht und Enzensberger, ist aber wie so viele Utopien weit von der Realität entfernt. Im Gegensatz zum Informationsvakuum des 15. Jahrhunderts herrscht heute eher ein Überangebot, in dem die Produktion der VJ-Autoren kaum Aufsehen erregen wird. Und allein durch den VJ wird die mediale (Selbst-)Kontrolle nicht geringer und das Einheitskleid der Medien nicht bunter.

Für Rosenblum ist die herkömmliche Produktionsweise antiquiert. Er prophezeit das Sterben einer ganzen Branche, wie so viele vorher in der Geschichte. Sein liebstes Beispiel ist die Eisproduktion. Anfang des 19. Jahrhunderts ist durch die Erfindung des Kühlschranks eine riesige Industrie sang- und klanglos verschwunden. Tausende von Menschen, die mit der Gewinnung und Verteilung von Eis beschäftigt waren, mussten sich einen neuen Job suchen. So wird es auch vielen Medienarbeitern gehen. Aber nicht, weil die VJ-Konkurrenz besser ist, wie Rosenblum behauptet, sondern weil das Produzieren mit VJs einfach bedeutend billiger ist.

Rhetorischer Zauber

Ohne Zweifel gibt es auch Vorteile bei der Ein-Mann-Produktion. Der VJ ist manchmal schneller und flexibler und macht vor allem mit seiner kleinen Kamera weniger Aufsehen. Diverse Beispiele zeigen bereits, dass so intimere und zum Teil auch innovative Filme entstehen. Aber das werden Ausnahmen bleiben. Wir werden einige Beiträge sehen, die besser sind, weil sie von einem Einzelnen gemacht sind. Wir werden aber auch viele sehen, die schlechter sind. Die kleinere und günstigere Technik hat ihre Grenzen. Die meisten aber werden genauso aussehen wie vorher, weil es Norm und Sehgewohnheiten so verlangen. Rosenblum ist ein Illusionist. Mit seinen rhetorischen Zaubertricks überwindet er Widerstände und Ängste und hat damit durchaus Erfolg.

In Angelsachsen ist der VJ schon weitgehend durchgesetzt, in Deutschland ist er im Kommen. Der Hessische Rundfunk bildet als erste ARD-Anstalt VJs aus, die Produktionsfirma AZ- Media produziert mit VJs Beiträge vor allem für RTL, und der Berliner Bildungsträger L 4 bietet ab Herbst einen VJ-Studiengang an. Der Videojournalist wird ohne jeden Zweifel seinen Platz im Pantheon bekommen. Zum Göttervater aber wird er nicht, und auf die ästhetisch-demokratische Revolution der Medien werden wir weiter warten müssen.