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: Wie die Begierden erwachen: Julio Medems „Tierra“

Der Film beginnt mit einem Zoom, der im Sternenstaub beginnt und auf einem Acker endet. Ángel und Tierra, Engel und Erde: das sind seine beiden Pole. Àngel heisst ein Mann um die Dreißig, der in der nächsten Einstellung wie in die spanische Landschaft hineingeworfen scheint. Er fährt zwar Auto und hat den wenig engelsgleichen Beruf des Schädlingsbekämpfers, bringt aber in seiner ersten Filmhandlung ein verirrtes Schaf zurück zu seinem Schäfer, erweckt einen vom Blitz getroffenen Bauern wieder zum Leben. Dabei hören wir seinen inneren Monolog, der eher ein Dialog ist. Àngel ist sich fremd: „Ich bin der Teil von dir, der gestorben ist, und ich spreche zu dir aus dem Kosmos“. Es wird nie klar, ob wir es mit einem halb himmlischen Wesen oder einem Schizophrenen zu tun haben.

Regisseur Julio Medem streut in „Tierra“ geschickt Indizien, die mal diese, mal jene Deutung wahrscheinlicher machen. Aber wenn Àngel einen Wahn auslebt, dann wird der Film zur Phantasmagorie, denn die Abenteuer des Helden auf Erden sind gespickt mit Wundern und Zeichen. Medem lässt Àngel alles sowohl auf einer spirituellen wie auch auf einer profanen Ebene erleben.

Wenn in diesem Film eine Frau Ángela heisst, dann wirkt sie wie eine Heilige. Àngel verliebt sich in ihre Seele. Auch die Hure ist nicht weit: in aufreizend enger Lederklamotten und mit lasziven Bewegungen weckt die junge Mira die reine Begierde. Bis zum Ende kann der Held sich nicht zwischen den Frauen entscheiden.

Die wundersame Geschichte ist extrem spannend erzählt. Mit jeder Drehung des Plots wird die Handlung geheimnisvoller.

Auch stilistisch folgt der Regisseur dem Gegensatz Himmel – Erde. Nach den überirdischen Special Effects der Anfangssequenz werden die Bilder geerdet, Landschaft, Menschen, Tiere und Dinge übertrieben naturalistisch ins Bild gerückt.

Dieser Film aus dem Jahr 1997, der teuflisch schwarzen Humor durchscheinen lässt, ist ein außerhalb von Spanien kaum bemerktes Frühwerk von Medem, der danach mit „Die Liebenden des Polarkreises“ sowie „Lucia und der Sex“ auch international bekannt wurde. Alle drei Filme sind ähnlich labyrinthisch, hoch romantisch und reich an absurden Zufällen. Medem mystifiziert gern, inszeniert Geheimnisse. Sicher ist nur, dass es ein Vergnügen ist, ihm auf den Leim zu gehen. Wilfried Hippen

Kino 46, Do-Sa 20.30 Uhr, So-Di 18.00, Originalfassung mit Untertiteln