Auf dem Heimweg geködert

Für viele Randgruppen bedeutet die US-Armee eine letzte Ressource für Integration und gesellschaftlichen Aufstieg. Auch für ethnische Minderheiten. Doch nachdem die Militarisierung der Gesellschaft in den USA zur politischen Strategie wurde, finden sich viele Immigranten in Kriegsgebieten wieder

Wer über 16 Jahre alt ist, muss von den Schulen an die Rekrutierungs-behörden gemeldet werdenIm Irak sei „nichts wie in der Propaganda von George W. Bush“, sagt die Soldatin. Stolz ist sie trotzdem

VON LENNART LABERENZ

„So mothers, stop looking for your sons in the wood, because you will find them on CNN.“ (Karate, „Small Fires“)

Glendale, Los Angeles ist eine Mittelklassesiedlung zwischen Beverly Hills, Burbanks und Pasadena, weit weg vom Glamour des Hollywood-Reichtums. Die Hälfte der hier Ansässigen sind nicht in den USA geboren, Englisch ist nicht ihre Muttersprache. Auf dem Weg nach Hause wartete Samantha Velazquez Velazquez, damals 17 Jahre alt, dort gemeinsam mit anderen Jugendlichen gelegentlich länger auf ihren Schulbus. Neben der Haltestelle vor ihrer Schule warteten außerdem noch die Angestellten im Rekrutierungsbüro der US Army.

Und während sich die einen die Wartezeit vertreiben, ködern die anderen mögliche Rekruten für die militärischen Launen der Regierung. „Ich wollte immer zur Polizei oder zur Feuerwehr. Und sie sagten mir, Militärpolizistin könne ich auch mit 17 werden“, sagt Velazquez. In den regulären Polizeidienst hätte sie erst mit 21 eintreten können. „Ich dachte, nach meiner Zeit bei der Armee kann ich immer noch zur Polizei.“ Und so unterschrieb Samantha Velazquez Velazquez 1999 bei der Armee, während sie auf den Bus wartete. „Natürlich hat meine Mutter Angst, aber sie ist auch stolz. Sie zeigt mich herum und sagt, das ist meine Tochter, die Soldatin.“

Samantha Velazquez Velazquez, mittlerweile 22 Jahre alt und Tochter mexikanischer Einwanderer, wurde Militärpolizistin, erst in Fort Lewis (Bundesstaat Washington), dann im Kosovo, in Mazedonien und im Pentagon, nun bei ihrer „definitiv letzten Station“, im Irak. Als die Regierung von George W. Bush im Januar 2002 das „No Child Left Behind“-Gesetz als groß angelegte Bildungsreform auf den Weg brachte, sahen viele darin einen Bruch mit US-amerikanischen Bildungstraditionen. Während öffentliche Schulen zuvor, pädagogischen Vordenkern wie Horace Mann und John Dewey folgend, aus einer Immigrationsbevölkerung eine auf gemeinschaftliche Werte bauende Gesellschaft machen und junge Menschen zu kritischen, eigenverantwortlichen Bürgern herangezogen werden sollten, denen Partizipation das Gefühl von „cultural ownership“ vermittelt, wechselte mit den neuen Gesetzen die Richtung: Statt um kulturelle Teilhabe geht es nun um den „globalen Konkurrenzkampf“, um die Werte des Kapitalismus und dessen Denkarten. Die Ausgaben fürs Bildungssystem sollten in ein direktes Verhältnis zu den standardisierten Testergebnissen der Schüler gesetzt werden, wie Stephen Metcalf von der linksliberalen Zeitschrift The Nation resümierte.

Doch einen weiteren Haken dieser Bildungsreform entdeckten manche Politiker und Schulen erst viel später: Sie waren fortan verpflichtet, alle persönlichen Daten von Schülern und Schülerinnen über sechzehn Jahre an die Rekrutierungsbehörde weiterzuleiten. Bei Zuwiederhandlung werden Bundesmittel gestrichen. In etlichen Schulen unterrichten bereits die Army- Ausbilder gleich selbst. Autorität, Disziplin und Unterordnung werden trainiert, Sekundärtugenden geraten zum primären Ziel. Samantha Velazquez Velazquez wartete nicht zufällig neben der Armee auf den Bus, die Militarisierung der Gesellschaft ist eine politische Strategie der Regierung. „Ich bin stolz darauf, mein Land zu verteidigen“, sagt Velazquez entschieden.

Das Militär spielt eine wichtige Rolle in der Integrations- und Disziplinierungsmaschine der multiethnischen Bevölkerung; Im Jahr 2000 waren in den Militärstatistiken 15,5 Prozent der Marinesoldaten als „Hispanics“ ausgewiesen, bei den elitären Marine Corps stellen Hispano-Amerikaner 14,9 Prozent – und das, obwohl in den USA nur etwa 11,7 Prozent der Bevölkerung latein- oder zentralamerikanischer Abstammung sind. Ihr Anteil in der Armee dürfte sich aber noch erheblich gesteigert haben, nachdem das Militär vor dem Irakkrieg sogar auf mexikanischem Territorium damit warb, den einfachsten Weg zur Staatsbürgerschaft darzustellen. Und tatsächlich wurde nach einem Erlass des Präsidenten im Jahre 2002 ganzen Regimentern im Schnellverfahren der Eid abgenommen und der blaue US-Pass ausgehändigt. Insgesamt waren rund 10 Prozent aller Soldaten und Soldatinnen, die in den Irak geschickt wurden, Hispanics.

Nach einer Studie des National Council of La Raza, eines Vereins zur Förderung der Hispano-Amerikaner, waren zum Ende der 1990er-Jahre Hispanics in den meisten Margen der Armee unterrepräsentiert. Das hat sich verändert, wie Lisa Navarrete, Vizepräsidentin des Council, feststellt: „Das galt für Friedenszeiten, im Krieg sieht es anders aus.“ Vor allem für die untersten und schlechtbezahltesten militärischen Ränge habe die Armee stark rekrutiert.

Nach einer Angabe des Verteidigungsministeriums machen alleine lateinamerikanische Einwanderer und deren Nachfahren mehr als 12 Prozent der gefallenen Soldaten aus. Bevor George W. Bush martialisch das „Ende der Kampfhandlungen“ auf einem Flugzeugträger erklärte, war die Rate noch erheblich höher. Obendrein müssen noch mindestens 39 Gefallene addiert werden, die nicht einmal US-amerikanische Bürger waren. Private Sicherheitsdienste, von der Armee und Geheimdiensten kontraktiert, schicken verstärkt Immigranten und Immigrantinnen in den Krieg. Ihr Tod taucht nicht in den Statistiken des Verteidigungsministeriums auf. Und so hat der Populist Michael Moore Recht, wenn er in seinem Propagandafilm „Fahrenheit 9/11“ feststellt, dass es die ärmsten Randgruppen seien, welche für die kriegerischen Interessen der USA fallen. Für jene Randgruppen bildet die Armee eine letzte Ressource für soziale Integration und gesellschaftlichen Aufstieg. Der Preis dafür ist hoch: Immigranten werden bevorzugt für die Vorhut geworben, sie sind die Marines, die nicht nur im Irak die Speerspitze der Auseinandersetzung bildete.

Samantha Velazquez Velazquez’ Erzählungen klingen meistens entspannter, ihr Ton ist eine Art verbales Achselzucken, als wäre es gleichgültig, dass sie aus ihrem eigenen Leben berichtet. Über ihren Militärdienst spricht sie distanziert, so ist auch ihre Einstellung zum Feldzug gegen die „Achse des Bösen“: „Wir machen einen Job und den will ich gut machen“, wiederholt sie stoisch.

Nun lebt sie seit sieben Monaten in einem Camp in den Ruinen der alten Stadt Babylon, auch als Wiege der Zivilisation bekannt. „Die Ruinen sind toll“, lacht sie, es sei ein Sicherheitsaspekt, an diesem Ort das Lager aufzuschlagen: „Wir werden seltener mit Mörsergranaten beschossen, der Ort ist den Irakern heilig.“ Für das Ansehen der Besatzungsmacht sei dies zugegebenermaßen nicht grade förderlich, aber „unsere Sicherheit geht eben vor, denke ich.“ Ende des Jahres soll das Lager verlegt werden.

Normalerweise versieht Velazquez ihren Dienst beim 504. Militärpolizeibataillon in Fort Lewis (Bundesstaat Washington), eher „ein Bürojob mit körperlicher Ertüchtigung“, wie sie sagt. Wären da nicht Uniform, martialische Maskottchen und die „contingency missions“, plötzliche Einsätze in alle Welt. Ihre Kompanie, die „War Eagles“ der 66. Militärpolizei-Einheit, trainierte einen Monat unter Kriegsbedingungen in Kalifornien und wurde im Februar in den Irak geschickt. Dort laufen sie mit irakischen Kollegen Streife in den Straßen kleinerer Städte südlich von Bagdad. „Wir sollen die Korruption bekämpfen, den Menschen wieder Vertrauen zur Polizei geben.“ Eine schwierige Mission.

Samantha Velazquez Velazquez war mit 22 Jahren Teamleaderin, als ihr Konvoi in einen Hinterhalt geriet. Ihr Fahrzeug wurde aus dem Straßengraben beschossen. Sie wies ihren Schützen an zurückzufeuern, dirigierte den Fahrer und schoss mit dem Gewehr in die Richtung, in der sie den Gegner vermutete. „Das ging sehr schnell, es war verwirrend. Nach fünf Minuten war alles vorbei, wir sind heil herausgekommen.“ Wenn ihr Lager nachts doch mal mit Mörsern beschossen wird, muss sie sich blitzschnell in den Bunker zurückziehen. Sie schläft mit Schutzweste, Helm und Gewehr neben dem Bett. „Hier ist nichts wie in der Propaganda von George W. Bush.“ Stolz ist sie trotzdem.

Zum Schlafen hat Samantha einen Container, wie er auch für Überseefracht verwendet wird. Und doch gibt es keinen Ort zum Abschalten. „Wir stehen ständig unter Stress. An die Hitze kannst du dich gewöhnen, an den Staub auch, aber diese ständige Anspannung gräbt sich in dich hinein.“ Jeder Fehler kann tödlich enden – nicht nur für sie selbst. Zwar meint Samantha, gut auf den Einsatz vorbereitet zu sein, trotzdem hätte das Trainingslager bei aller Anstrengung eher den Charakter einer Saisonvorbereitung gehabt. Und der Irak? „Das sind die Olympischen Spiele, Mann, auf höchstem Niveau!“

Nach dem Hinterhalt hatte Velazquez einige Tage frei bekommen, die Ereignisse mit ihren Kollegen durchgesprochen. Ein Krisenreaktionsteam stand bereit. Das hat der jungen Soldatin geholfen, sie verrichtet weiter ihren Job, nach dessen Gründen sie nicht fragt. Was sie also mit George W. Bush anfangen würde, wenn sie die Gelegenheit hätte, ihn allein zu sprechen, weiß sie nicht recht: „Vielleicht herausfinden, was die wirklichen Gründe für den Einsatz sind.“ Aus ihrem Mund klingt das eher wie eine Frage.

Samantha Velazquez Velazquez muss nach kurzem Urlaub in Glendale wieder zurück nach Babylon. Dort wird sie noch einmal sechs Monate ihren Job tun. Sich dem zu verweigern, ist ihr nie in den Sinn gekommen, zu desertieren ist völlig abwegig: „Ich habe unterschrieben, meinem Vaterland zu dienen“, sagt sie, „ich habe nicht unterschrieben, ihm vielleicht zu dienen, wenn es mir gefällt.“ Die Worte scheinen viel zu groß für die junge Frau, sie hören sich an wie aus einem Film, den wir alle schon einmal gesehen haben. In sechs Monaten läuft der Vertrag von Velazquez aus, sie wird ihn nicht verlängern. Auch zur Polizei will sie danach nicht mehr.