In eigener Sache

Brauchen deutsche Radios eine Quote für deutschsprachigen Pop? Ja, sagen viele Künstlerinnen – sonst hat der Nachwuchs gegen angloamerikanischen Mainstream keine Chance mehr

VON ULLA MEINECKE

Viele kennen das: Man mag Pop- und Rockmusik und schaltet das Radio an. Die vielen Sender, unter denen man wählen kann, spielen im Wesentlichen dasselbe: circa 30 US-Charthits plus Oldies. Die Sender sind nur noch durch ihre Station IDs und jingles zu unterscheiden. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben sich diesen „Formaten“ weitgehend angepasst. Der Anteil an deutschsprachigen Neuvorstellungen liegt in den ARD-Stationen um die Einprozentmarke.

Wenn wir also nun eine Radioquote für deutsche Songs fordern, dann fordern wir genau genommen, dass die längst durch die Hintertür eingeführten, willkürlichen Niedrig- bis Nullquoten deutlich erhöht werden.

Die geschäftlichen Ziele der größten (und multinational strukturierten) Tonträgerfirmen sind logisch: Sie verkaufen ein angloamerikanisches Produkt. Es ist nicht ihre Aufgabe, sich um die Kultur europäischer Länder zu kümmern. Gebührenfinanzierte Sender haben aber einen anderen, einen Kultur- und Informationsauftrag.

Frankreich hat Mitte der Neunziger eine Radioquote eingeführt. Um einheimischen Künstlern überhaupt eine Chance zu geben, zu Gehör zu kommen. Um dem, was von französischem Nachwuchs immer wieder neu entsteht, Gehör zu verschaffen. Dass die Landessprache etwas mit Identität und Kultur zu tun hat, ist unseren europäischen Nachbarn eine Binsenweisheit. Nur bei uns wird das langatmig diskutiert, wenn überhaupt. Das hängt mit unserer Geschichte zusammen.

Seitens öffentlich-rechtlicher Sender heißt es, der Anteil an deutschsprachigen Musiksendungen sei beachtlich. Richtig. Allein: Sie meinen volkstümlichen Schlager. Und das ist, als setzte man Fußballfans Wasserballübertragungen vor, weil auch diese Disziplin ein Mannschaftssport sei.

Man stelle sich einen Moment lang vor, bei großen Songschreibern und Songschreiberinnen wie Bob Dylan, Carole King, Alanis Morissette, Prince, Lenny Kravitz, Pink und Eminem hätte das Texten in der eigenen Sprache zur Folge, dass sie in der eigenen Radiolandschaft nicht vorkämen. Absurd. In aller Regel ist der poetische Ausdruck in der eigenen Sprache am stärksten.

Die Behauptung, das Radioprogramm sei international, ist ohnehin falsch. Das würde bedeuten, dass uns die großen Stars unserer europäischen Mitländer geläufig wären. Sind sie aber nicht, denn „internationales Produkt“ meint vorwiegend angloamerikanischen Mainstream.

Wir brauchen die Quote, damit eine annähernde Chancengleichheit hergestellt wird – viele auf Deutsch singende Künstler hätten sich nicht durchsetzen können, wenn es damals nicht auch noch Redakteure gegeben hätte, die sie ohne Formatzwänge dem Publikum vorstellten: Herbert Grönemeyer, Konstantin Wecker, Nina Hagen – und die Neue Deutsche Welle.

Das Publikum braucht die Quote – allein, um entscheiden zu können. Der Nachwuchs braucht sie auch. Denn bieten sie deutsche Songs an, heißt es meist von den Firmen, mit ihnen sei nicht zu arbeiten, weil in den Medien keine Plattform für sie existiere. Ein Effekt, der kreatives Potential zerstört und einen Teil unserer Kultur, die eben nicht allein aus Museen, Opern und Staatstheatern besteht.

In einer Mediengesellschaft ist der Satz „Qualität setzt sich von allein durch“ überholt. Was im Radio und im Fernsehen nicht vorkommt, hat etwa so viel Chancen sich durchzusetzen, wie ein jamaikanisches Bobteam bei Olympischen Winterspielen.

ULLA MEINECKE, 50, hat Songs wie „Die Tänzerin“ oder „Heißer Draht“ gesungen. Sie lebt als Dichterin und Musikerin in Berlin. Sie ist Mitunterzeichnerin des Aufrufs „In eigener Sache“.