Die Quote des Grauens

Alle Jahre wieder hebt die Debatte um die Einführung einer Radioquote ihr hässliches Haupt. Die Argumente der Fürsprecher sind so alt wie dumm: Denn eine „deutsche Popkultur“ gibt es nicht

Wenn es gegen „anglo-amerikanischen Mist“ geht, rücken Altpunks und Grüne zusammen

VON ANDREAS HARTMANN

Jeder hat so seine eigenen Probleme, hier am Popstandort Deutschland. Frank Z. beispielsweise, Sänger der wiederauferstandenen Punkband Abwärts, findet, dass die „A&R-Fuzzies, die gerade bei den größeren Plattenfirmen rumrennen“, die echten Feinde guter Musik seien. Denn „die machen dann irgend so einen angloamerikanischen Mist mit Typen, die eigentlich auch als Bankangestellte arbeiten könnten.“ Ach, so lässt sich aus dieser Aussage schließen, würden sie doch wenigstens deutschen Mist fabrizieren, die Bankangestellten – deutschsprachigen Mist. Ganz ähnlich sieht das auch Antje Vollmer, die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, die sich derzeit auch als Fürsprecherin einer deutschen Radioquote stark macht. Sie sei viel mit dem Auto unterwegs und könne „das Radio nicht mehr ertragen“, sagte sie der Süddeutschen Zeitung, „immer die gleichen Lieder von den paar weltweit erfolgreichen Bands“.

Wenn es gegen „angloamerikanischen Mist“ und weltweit erfolgreiche Bands geht, die bekanntlich nie aus Deutschland kommen, wenn es also am besten gleich gegen den altbekannten Kulturimperialismus geht, dann rücken Altpunks und Politiker der Grünen dicht zusammen. Schließlich muss das Eigene beschützt werden, der herrliche deutsche Pop muss vor seinem Aussterben bewahrt werden. So sieht das auch eine neue Initiative, die so genannten „Musiker in eigener Sache“. Diese machen sich gerade rechtzeitig zur Popkomm mal wieder vehement stark für eine Radioquote. Heinz Rudolf Kunze, Quoteneinforderer der ersten Stunde, und 450 weitere Musiker haben sogar erreicht, dass ihre Initiative am 29. September eine Anhörung im Bundestag bekommt.

Bei vielen der „Musiker in eigener Sache“ wird schnell klar, dass es ihnen wirklich nur um die eigene Sache geht. Die großen Plattenfirmen haben sich in Zeiten der Krise von vielen ehemaligen Zugpferden des Deutschpops getrennt, sogar Udo Lindenberg stand plötzlich ohne Plattenvertrag da – klar, dass er sich wenigstens hin und wieder noch im Radio hören möchte. Bei anderen, wie etwa Jan Eißfeldt von der Hamburger HipHop-Gruppe Beginner, fragt man sich dagegen schon, was sie dazu bewegt hat, sich diesem Artenschutzbund anzuschließen.

Die Forderung nach einer deutschen Radioquote scheint eben inzwischen auf breite Akzeptanz bei den unterschiedlichsten deutschen Musikern zu stoßen. Als Kunze vor acht Jahren erstmalig in Sachen Radioquote in einem Spiegel-Interview verhaltensauffällig wurde, bekam er kurz darauf als Lieblingsfeind des Monats eine Titelstory in der Konkret und wurde gleichzeitig von der Jungen Freiheit heftigst bejubelt, in Popkultur-affinen Kreisen galt er seitdem als nicht mehr gesellschaftsfähig. Heute kann man selbst der zwar auch nicht mehr ganz jungen, aber hipper denn je wirkenden Berlinerin Inga Humpe vom Elektropopduo 2raumwohnung eine gewisse Kunzehaftigkeit attestieren. Bezüglich einer Radioquote befand sie kürzlich: „Vielleicht sollten sich die Leute klarmachen, dass es um den Verlust unserer Identitäten, unseres geistigen Erbes geht, wenn nicht bald etwas geschieht.“ Was genau aber stellt sich Inga Humpe unter einer deutschen Popidentität vor? Wahrscheinlich etwas anderes als Dieter Thomas Heck oder Botho Strauß, doch man kann annehmen, dass diese Humpes Satz sofort unterschreiben würden.

Im aktuellen Popdiskurs hat sichtlich eine Verschiebung stattgefunden. Was früher als links galt, etwa die so genannte Hamburger Schule, wurde und hat sich auch selbst marginalisiert. Gelegentlich gibt es noch ein Aufbäumen, wie zuletzt beim Fall Mia, die in ihrem Song „Was es ist“ von einem neuen deutschen Selbstverständnis träumten. Die Antifa machte mobil gegen Mia, Konzerte wurden abgesagt und die Band mit Eiern beworfen. Bis hin zur Homepage der „Tagesschau“ brachte es das neue Phänomen: Bands, die sich zu Schwarz-Rot-Gold bekennen. Auch der Hit „Wir sind wir“ von Peter Heppner und Paul Van Dyk, in dem davon erzählt wird, wie Deutschland zwar im Zweiten Weltkrieg besiegt wurde, man es aber glücklicherweise doch wieder geschafft habe in diesem Land, sorgte für pflichtbewusste Abwehrreaktionen von Poplinks. Doch ansonsten wirkt der aktuelle Diskurs bezüglich Pop aus Deutschland und seiner Selbstpositionierung zur deutschen Nation wie gelähmt.

Man scheint müde geworden zu sein. Als das einflussreiche Kölner Technolabel Kompakt vor kurzem anlässlich seiner hundertsten Plattenveröffentlichung eine Compilation veröffentlichte, die in schwarz-rot-güldenem Coverdesign daherkam – Techno aus Deutschland gilt international als Markenzeichen –, war das absolut kein Aufreger mehr.

Nur hin und wieder passiert noch was. Zuletzt veröffentlichte die Hamburger Diskurspopband Blumfeld in einem Newsletter eine Stellungnahme, aus der nicht ganz klar hervorging, was der Anlass für diese war. Es stellte sich bald heraus, dass die Berliner Band Virginia Jetzt! in ihrem Song „Liebeslieder“ ein Zitat von Randy Newman verwendet hatte, in dem es heißt: „mein Land, meine Menschen, die Welt, die ich verstehe“. Der Sänger von Virginia Jetzt! gab in einem Gespräch mit dem Musik Express an, er sei durch ein Interview von Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer auf dieses Zitat gestoßen. Blumfeld ließen daraufhin verkünden: „Wie aus unserem Schaffen und Verhalten klar erkennbar sein sollte, haben wir es stets abgelehnt, uns in die heimatduselige Front all derer einzureihen, die es für angebracht halten, sich in Denken, Fühlen, Singen und Handeln positiv auf Deutschland (als Kulturnation und Heimat) zu beziehen.“

Die Blumfeld-Virginia-Jetzt!-Battle wirkt wie eines der letzten Scharmützel kurz vor der endgültigen Niederlage. Man versichert sich noch schnell gegenseitig und dem Rest der Welt, wie korrekt man doch sei, während die eigentliche Schlacht längst verloren zu sein scheint. Denn die Sehnsucht nach einem „Wir sind wir“ scheint sich inzwischen auf so breiter Ebene durchgesetzt zu haben, dass man dem kaum noch etwas entgegenzustellen weiß. Deutsche Popmusiker fühlen sich einfach zu wohl in diesem Land.

Klar, Hartz IV ist vielleicht nicht so schön, doch eigentlich möchte man einem Kanzler, der so aufrecht George W. Bush Paroli geboten hat, nicht an den Karren fahren. Die deutsche Popmusik hat sich deshalb zum Großteil einfach davon verabschiedet, noch so etwas wie eine Opposition sein zu können, widerständig sein zu wollen. Eine Band wie die Kölner Von Spar, die in Interviews angeben, dass sie weniger ein Problem mit dem amerikanischen Präsidenten als mit der bundesdeutschen Regierungspolitik hätten, müssen sich da vorkommen wie Aliens.

Auch erfolgreiche deutsche Bands, die nicht Pur oder Scorpions heißen, wie etwa Wir sind Helden, machen viel lieber knorke Rot-Grün-Wohlfühlmusik, klingen absolut kanzleramtstauglich und schätzen sich dennoch als „links“ ein. Sie finden zumeist Attac ganz gut und können es natürlich auch voll nachvollziehen, wenn Antje Vollmer wettert, „dass der Globalisierungsprozess im Musikmarkt nicht mehr Vielfalt, sondern mehr Monokultur produziert“.

Dass Popmusik nicht erst seit heute, sondern seit ihrem Bestehen einem „Globalisierungsprozess“ unterworfen war, der in Wirklichkeit deutsche Monokultur überhaupt erst in eine Vielfalt transformierte, das einer Antje Vollmer erklären zu wollen, ist freilich hoffnungslos. Es ist schon deprimierend genug, dass man sich wieder gezwungen sieht, klarzustellen, dass das Tolle an Pop immer seine Identitätslosigkeit war, dass er Grenzen ignoriert hat und sich über all die Jahre hinweg nicht mono-, sondern interkulturell fortgepflanzt hat.

Früher einmal galt all dies als selbstverständlich. Doch nun klagen die Deutschpopper, dass sie nicht mehr genügend Platten absetzen würden und gleichzeitig sieht man, dass Pop aus dem Radioquotenland Frankreich boomt wie nie. Schon bastelt man sich Pop als national gewachsenes Kulturgut zurecht. Das geht so weit, dass nicht wenige denken, Techno sei im Mutterland der Love Parade auch erfunden worden. Auch dass ein Gutteil der interessanten französischen Popmusik, French House und Air, ganz ohne Quote und erst durch die Akzeptanz im Ausland groß wurde, wird geflissentlich übersehen.

Genau wie der Umstand, dass in den gegenwärtigen Top ten der deutschen Albumcharts ohnehin schon acht Plätze von deutschen Produktionen belegt werden. Popdeutschland wünscht sich die Quote, es möge sie bekommen. Popdeutschland ist so gähnend langweilig und selbstzufrieden geworden, es gehört mit der Quote bestraft.