fußpflege unter der grasnarbe
: Von den Steinpilzen des Fußballs

Neulich war ich am Bischofsholer Damm. Ich unterbrach meine ICE-Fahrt, weil mir ein weiser Mensch Arminia Hannover zur Ansicht empfohlen hatte. Einmal mehr sollte sich bestätigen, dass man in manch kleinem Stadion einen netteren Nachmittag verbringen kann als in den Hochsicherheitstrakten der Bundesliga mit ihrem Charme von Sparkassenneubauten. Man möchte dort am liebsten Hausschuhe anziehen, um das Interieur nicht mit ordinärem Straßenstaub zu besudeln.

Ganz anders bei den Arminen, wo auf den Traversen wachsen darf, was wachsen will. Auf dem offiziellen Rasen wurde dann auch mit dem Ball gewerkelt, schön war das zugegebenermaßen nicht. Aber wer sich beim Fußball vom Fußball stören lässt, muss eben Wolfsburg-Fan werden. Schnell wandte ich mich wesentlichen Dingen zu und blätterte in dem Stapel, der am Eingang gereicht worden war. Dort fand sich ein Album in Panini-Manier: Bei jedem Spiel bekommt der Zuschauer – in Hannover sind es selten mehr als 500 – drei Spieler zum Einkleben. Am letzten Spieltag ist das Album voll. Großartig. Ebenso wie die sieben Fans der Gastmannschaft, die versuchten, das Lübecker B-Team anzufeuern und vom etwa 30-Mann-Supportblock der Arminen zu hören bekamen, dass das aussichtslos sei: „Ihr seid Japan, wir Godzilla.“

Auch bei TeBe Berlin, wo man sich Woche für Woche von rechten brandenburgischen Weichköpfen beschimpfen lassen muss, ist man sich der eigenen Unbedeutendheit bewusst und lebt in einer Kate an der Charlottenburger S-Bahn-Station umso trotziger eine geistreiche Fankultur aus. Und das, nachdem man in einem viel zu großen Stadion mit der nötigen Grandezza ein „God save TeBe“ intoniert hat.

Bei Altona 93 findet man ebenfalls diese Selbstironie. Unvergessen der Fan, der bei einem Spiel gegen Glashütte den Gegner als „Crystal Palace für Arme“ beschimpfte, um nach einer Fehlentscheidung des Schiedsrichters zu brüllen: „So kann ich nicht arbeiten – als Fan.“ In der Ersten Liga hört man solche Rufe kaum – auch weil sie durch die Zwangsberieselung mit Übel-Musik übertüncht werden. Dass Kreativität und Freude am Fandasein nicht mit dem Aufstieg aus der Oberliga enden müssen, beweist die Düsseldorfer Agentur triggerfish, bei der man zuweilen noch kurz vor Mitternacht reinschneien kann, wenn man Selbstironisches zu dem Club hören will, dessen Fans stolz über vergangenen Ruhm singen: „Deutscher Meister 33, nur damit es jeder weiß.“ Schnell hat man ein brandneues Jahrbuch in der Hand, das den Aufstieg in die Drittklassigkeit dokumentiert. Es fängt die Momente ein, die Fußball zum Faszinosum machen. Die Verzweiflung des Bac Sinkharé nach der Niederlage im Entscheidungsspiel um die Teilnahme am DFB-Pokal etwa. Es soll Deutsche Meisterschaften gegeben haben, bei denen weniger Emotion herrschte.

Mit dem Fußball ist es eben ein bisschen wie mit dem Waldspaziergang: Die schönsten Pflänzchen gedeihen an den entlegensten Stellen. So gesehen sind die TeBes, Arminia Hannovers, die Fortunen und Altona 93er die Steinpilze des Fußballs. Und die Bundesliga der ausgelatschte Wanderweg.