Die Birne schmeckt besser

George W. Bush wird US-Präsident bleiben – gerade wegen seiner Volkstümlichkeit. Daran wird auch das letzte TV-Duell nichts ändern. Die deutsche Linke müsste dies eigentlich kennen: von Helmut Kohl

VON JAN FEDDERSEN

Das pikierte Erstaunen das linksliberalen Publikums kann heutzutage kaum noch nachgefühlt werden. Aber als 1982 der SPD-Kanzler Helmut Schmidt durch den rheinland-pfälzischen Oppositionsführer der Union abgelöst wurde, hielt man dies für einen politischen Betriebsunfall. Denn erstens stand der Zeitgeist im Zeichen der Friedensbewegung, zweitens hörte man in den Charts überwiegend von der Ästhetik der Neuen Deutschen Welle geprägte Musik – und überhaupt: Helmut Kohl? Kanzler? Pah! Täppisch nahm er sich aus, ungebildet klangen seine Sätze, unförmig sein Körper, gemessen jedenfalls an der schneidigen Statur seines Vorgängers. Alles an ihm hatte etwas Ungelenkes, ja, wie man inzwischen weiß, obendrein notorisch Seilschafthaftes – und das blieb es bis zu seiner Abwahl durch Gerhard Schröder 1998.

Nur ästhetische Kritik

Die Linke aber verfehlte mit ihrer Geschmackskritik – überwiegend jedenfalls – die wichtigsten Gegenstände einer politischen Auseinandersetzung, von denen es stets eine Menge gab. Doch in der Kritik an den saumagigen Formen des politischen Regierungsbetriebs der Ära Kohl schwang immer auch ein Dünkel wider das Publikum mit, das den Unionsführer Wahl für Wahl im Amt beließ. Was die Linke, stets so vorsätzlich wie ehrenhaft auf Vernunft gründend, nicht begriff, war, dass Kohl immer glaubwürdiger, bodenständiger wirkte – und alle sozialdemokratischen Herausforderer deshalb an ihm scheitern mussten, waren es nun Vogel, Rau, Lafontaine oder Scharping. Fleisch gewordene Zeigefingerpolitik, besserwisserisch und uncool: kein Appeal von guter Regentschaft, nicht einmal für Spott wie der (verächtlich gemeinte) Name „Birne“ hat es bei ihnen gereicht.

So in etwa wird man auch erklären müssen, wenn am 2. November in den USA George W. Bush in seinem Amt bestätigt wird. John F. Kerry ist gewiss klüger, hört die bessere Musik, berät sich mit 68er-Veteranen wie David Crosby und lässt sich von Musik wie Michael Stipe, Bruce Springsteen oder Barbra Streisand unterstützen, Bush kann sich allenfalls auf Chuck Norris oder Britney Spears verlassen. Dass er außerdem keinen geraden Satz frei formulieren kann und sein Gottesverständnis dem von Kindern im Alter von drei Jahren entspricht: alles in allem nicht gesellschaftsfähig.

Tonlage eines Verlierers

Tony Judt, Politikwissenschaftler am New Yorker Remarque Institute of European Studies und ein Freund der Demokraten wie in seiner britischen Heimat Labour unterstützend, verfasste gegen John F. Kerry das Verdikt: „Man krümmt sich, so falsch klingt er.“ Des Kandidaten Redeweise wirkt, verglichen mit der des Charmeurs Bill Clinton, aufgesetzt – er ist kein Nachbar, dem man einen ganz besonders schwierigen Job zutraut, sondern ein Gutsbesitzer, der mit seinem Personal menschlich umzugehen gelernt hat. John F. Kerry ist, so gesehen, Rudolf Scharping: ein Mann, der volkstümlich sein möchte, aber nicht ist. Der steif bleibt, weil er Angst vor seinem Gegner hat. Der nicht wirklich den Job will, weil sein Körper vor dem Präsidenten wie der eines Höflings agiert. Auch 1994 galt Scharping als dem Kanzler ebenbürtig – und unterlag mit entsetzlich deutlichem Abstand. Das Volk wollte lieber die Birne als die „Ziege“, als welche ihn das Magazin Titanic wahrnahm. Dass Scharping einmal bei der Vorstellung eines Steuermodells brutto und netto verwechselte, brachte ihm keine Sympathie: Denn er nahm sich, als ihm der Fehler unter die Nase gehalten wurde, aus wie ein verhärmter Musterschüler, der bei einem Flüchtigkeitsfehler erwischt wurde – beschämt. Ein Kohl hätte das jovial weggeplaudert …

Wechselseitiger Hass

Gerade Bushs Anti-Smartness, seine Ratlosigkeit auf allen Feldern, die politisch der Durchdachtheit bedürfen, spricht für ihn – nicht an ihm hängt die Güte der Präsidentschaft, sondern an seinen Beratern. Bei ihm, aus der Perspektive der Wähler, zählt nur, dass er Stärke zu verkörpern weiß. Und das kann er, anders als Kerry – zumal es seit dem Terror des 11. 9. in den USA eben darauf ankommt. Bush wirkt wie ein Cowboy, Kerry wie ein Rodeozuschauer: that’s it!

Dass Michael Moores Häme (ob in Büchern oder per Pseudodokumentarfilm), dass das Engagement der Kulturschickeria, dass Antiglobalisierungskritiker in den USA den europäischen Linken anderes weismachen, heißt noch gar nichts: So wie die Linksliberalen das klerikal-neokonservative Establishment der Bushianer hassen, waren die republikanischen Kernschichten von den Attitüden der Clintonians angewidert. Die Aversion war und ist ganz und gar wechselseitig – nur dass jene gegen Clinton & Co. in Europa kaum zur Kenntnis genommen werden wollte: Man labte sich am Glamour von Bill & Hillary und hielt Politisches für hollywoodesken Stoff.

In den USA sind die Fronten, alles in allem, klar umrissen: Die einen wollen Stärke, Religiöses, Traditionsfamilie und Abtreibungsverbot, die anderen Flexibilität, gay marriage, Trennung von Staat und Religion sowie die Anerkennung der Frau als dem Mann in jeder Hinsicht ebenbürtig – zwischen diesen issues liegt ein ziemlich tiefer Graben. Die amerikanische Mitte entscheidet – und die hat den 11. 9. im Blick und tendiert zum Mächtigen.

2008 kriegt Hillary Clinton ihre Chance. Sie wird sie nutzen, denn: She’s got balls!