Die Bibliothek ist der Star

Bilanz einer ruhigen Messe: Nach den Prominentenbüchern sichern nun die Sonderbuchreihen die Umsätze der Verlage. Ob die Bestseller-Bibliothek der „Bild“ oder die Lieblingsbücher des Feuilletons der „Süddeutschen“: Sie kurbeln die Umsätze an, aber nehmen zugleich die Lust auf neue Bücher

Bestseller verkaufen sich besser als noch vor wenigen Jahren, Bücher mit kleinen Auflagen dagegen schlechter

VON GERRIT BARTELS

Hans-Peter Übleis, der Verlagsleiter von Droemer Knaur, ist ein optimistischer Mensch. Man muss ihn nicht kennen, um das sagen zu können, sondern es reicht, seinen jährlichen Ansprachen beim Buchmessen-Verlagsfest von Droemer Knaur im Frankfurter Hof zu lauschen. Wollte Übleis selbst in den schweren Krisenjahren 2001 und 2002 keine Trübsal blasen, weil er Kraft und Hoffnung aus der nicht nachlassenden Geschäftigkeit seiner englischen und amerikanischen Kollegen zog, so weiß er in diesem Jahr, dass sich das allgemeine Jammern doch auf „niedrigem Niveau eingependelt“ habe. Sein Verlag kann mit richtigen Erfolgsmeldungen aufwarten: Das Geschäft laufe zufrieden stellend, so Übleis, Knaur Taschenbuch habe zuletzt gar in den zweistelligen Prozentbereich ragende Umsatzzuwächse erzielt. Ein aktueller Titel wie Hans-Olaf Henkels Buch „Deutschland ist machbar“ habe da geradezu symbolischen Charakter.

Das Verlagsfest der Droemer-Knaur-Verlagsgruppe ist ein guter Indikator für die dezent gebesserte Stimmung auf dieser Buchmesse im Vergleich zu den Vorjahren, für den souveränen Umgang mit der nach wie vor bestehenden Absatzflaute, für das Einrichten in der Krise. Für eine Buchmesse, die trotz des arabischen Schwerpunkts eher unspektakulär über die Bühne ging und in der Literaturnobelpreisverleihung an Elfriede Jelinek ihren einzigen echten Höhepunkt hatte.

Droemer Knaur ist kein rein literarischer Verlag, sondern ein Publikumsverlag mit breitem, nahezu feuilletonfernem Spektrum. Da findet sich ein ambitioniert-anrührender Roman über das Sterben wie „Gnade“ von der Norwegerin Linn Ullmann genauso wie die Biografie der äthiopischen Sängerin Senait G. Mehari, die, wie Übleis stolz verkündet, diese Woche auf Platz fünf der Sachbuch-Bestsellercharts steht. Es gibt Thriller wie die von Annemarie Schönle und Val McDermid, aber eben auch Schmonzetten oder Bücher vom Ski-Ehepaar Mittermaier/Neureuther oder den Trash von Fernsehleuten wie Carmen Nebel und Cherno Jobatey.

Infolgedessen finden sich an diesem Abend viele Fernsehleute ein, insbesondere vom ZDF. Diese sind noch immer ganz bewegt von ihrer 50-Lieblingsbücher-der-Deutschen-Sendung. Anziehende Verkäufe etwa von Erwin Strittmatters „Der Laden“ oder Albrecht Schönes kommentierter „Faust“-Ausgabe hat einer der Fernsehmänner recherchiert; eine andere ZDF-Mitarbeiterin ärgert sich darüber, dass „Die Besten“ und Elke Heidenreichs „Lesen“ jetzt immer in einen Topf geschmissen würden. Dabei habe doch Heidenreich mit einem „Lesen“-Extra lediglich den Anschub für „Die Besten“ gegeben, ansonsten aber nichts damit zu tun. Noch schlimmer und erstaunlicher sei, so die ZDF-Mitarbeiterin, was für ein unwahrscheinlicher Druck seitens der Verlage auf Heidenreich ausgeübt werde, damit sie einmal eins der jeweiligen Bücher in die Kamera halte. Vielleicht ein Grund für die immer größer werdende Anzahl von Titeln, denen die wohlwollende Heidenreich sich in ihrer halbstündigen Sendung widmet.

Mehr noch als von den ZDF-Erfolgssendungen ist an diesem Abend genau wie auf der Buchmesse die Rede von der Bild-Bestseller-Bibliothek. 300.000 Vorbestellungen hat es allein für Mario Puzos „Paten“ gegeben, den ersten Band, eine stolze Zahl. Die Bild-Bibliothek mit ihren Büchern für knapp fünf Euro wird von Verlagen wie Buchhandel gleichermaßen hoffnungsvoll wie zwiespältig betrachtet. Einerseits haben bis auf einige wenige, wie etwa die Holtzbrinck-Gruppe, die Verlage ihre Lizenzen dafür vergeben, in der Hoffnung, mehr Leute zum Lesen zu bringen und manch alten Titel, der sich sonst kaum mehr verkauft, noch einmal ordentlich vermarktet zu sehen. Andererseits verschwindet in der Konzentration auf die Bestseller die literarische Vielfalt, ordert der Handel genau diese Titel zuhauf, geht das Publikum zunehmend weniger Wagnisse mit neuen und originalen Titeln ein. Eine Tendenz, die mancher Verleger auch sonst beobachtet: ein Roman wie Frank Schätzungs „Der Schwarm“ verkauft sich wie geschnitten Brot und doppelt so gut wie früher ein Bestseller. Die Titel mit geringeren Auflagen dagegen verkaufen sich noch schlechter.

Dazu kommt, dass die Bibliotheken von SZ und Bild quasi durch die Hintertür die Buchpreisbindung abschaffen. Von zwölf Millionen Exemplaren billiger, neuer alter Bücher ist die Rede, Bücher, die nicht unter dem Label „Modernes Antiquariat“ gelistet sind oder „Mängelexemplar“-Stempel tragen müssen, Bücher wie auch die Klassikerausgabe des Weltbild Verlages: Fünfzig Bände von Goethe über Balzac bis Melville für insgesamt atemberaubende 99,90 Euro gibt es neuerdings in den Weltbildplus-Filialen und für Katalogkunden, zwei Euro pro Band. Darunter geht nur noch geschenkt. Verfechter der Buchpreisbindung dürften diese Entwicklung mit Sorge sehen; Freunde des freien Marktes jedoch dessen Kraft und Dynamik bejubeln, ungeachtet aller Regulierungskorsetts.

Man könnte sagen, die Billig-Bestseller-Bibliotheken sind die neuen Stars der Branche. Sie haben die Rolle übernommen, die ein Bohlen oder Effenberg zuletzt inne hatte. Mit kritisch beäugter Retterfunktion. So ist zwar beispielsweise ein Udo Jürgens auf dieser Messe und stellt seine „Memoiren“ vor. Doch sorgt das für höchstens mäßigen Wirbel. Sehr geschäftsmäßig lässt Random House im Anschluss Kaffee und Kuchen verteilen, während auf der anderen Seite des Standes, bei Luchterhand, Terézia Mora sitzt und ein gehöriges Interview-Pensum absolviert.

Doch Mora macht noch mehr: Sie trifft sich etwa mit ihrem ungarischen Verleger, um mit ihm die Übersetzung ihres Romans „Alle Tage“ ins Ungarische zu besprechen. Eine diffizile Angelegenheit, denn in Frage kommen vor allem: Terézia Mora, was Mora für keine so gute Idee hält; und der diesjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Péter Esterházy, was sie für ebenfalls keine gute Idee hält, hat sie selbst doch schon Bücher von Esterházy ins Deutsche übersetzt.

Mora leistet auf dieser Messe Schwerstarbeit für ihr Buch, sie ließe sich schön als Beispiel für Volker Neumanns Bonmot von der „konzentrierten Arbeitsmesse“ anführen. Doch das ist die Messe immer gewesen. Mag ein Helge Malchow, Verlagschef von Kiepenheuer & Witsch, die neuen Bücher von Bret Easton Ellis oder Nick Hornby schon lange vor der Messe unter Dach und Fach gebracht haben, er gar auch Zazie Smith und Dave Eggers für seinen Verlag neu gewonnen haben; mag der ein oder andere ausländische Verleger andeuten, er könne 360 Tage im Jahr Geschäfte machen, in Frankfurt gelte es vor allem zu reden, zu reden und in Kontakt zu bleiben – die Frankfurter Buchmesse ist doch noch immer ein großes Arbeiten, Werben und werbendes Arbeitsreden. Ein Kämpfen um Lizenzen, ein Ringen etwa um das angeblich tolle Manuskript einer französischen Auschwitzüberlebenden, ein Kämpfen um den Verkauf von Lizenzen gerade auch deutschsprachiger Bücher an ausländische Verlage. Da sind die abendlichen Feiern das eine, das andere aber auch die übernächtigten, geschafften Gesichter so mancher Verlagsmitarbeiter.

Klar, dass es bei so viel Arbeiten und Arbeitsreden auch um den vertrauten Umgang miteinander geht, um das Herstellen von Vertrauen – auch beim Schwerpunkt der arabischen Länder ist das ein Punkt auf dem Masterplan, selbst wenn zuweilen der Eindruck überwiegt, der arabische Schwerpunkt finde in einer fernen Parallelwelt statt. Oberstes Gebot aber ist das Vertrauen für Autoren und Autorinnen. So verließ Elfriede Jelinek nicht zuletzt den Rowohlt Verlag, weil ihr Lektor Delf Schmidt zum Berlin Verlag wechselte; und so wird dieser Tage auch Christa Wolf als neue Suhrkamp-Autorin begrüßt werden. Nicht weil sie sich bei Luchterhand nicht wohl gefühlt, der Verlag sich um sie nicht bemüht hätte – die schöne Wolf-Werkausgabe sagt da alles. Nein, vor allem weil Luchterhand-Chef Gerhard Trageiser in diesem Jahr seinen Ausstand gibt: ein Vertrauter von Wolf, der Mann, der sie überzeugte, bei Luchterhand auch nach der Übernahme durch Random House zu bleiben.