„Eleganz ist eine Lebenseinstellung“

Keine Spur von Krise: Die neue Herbstmode setzt auf Selbstbewusstsein. Modesoziologin Elisabeth Hackspiel-Mikosch über die Kunst, elegant zu sein

„Ackermanns Anzüge knitterten nicht. Auch so forderte er im Prozess Respekt ein“

INTERVIEW JULIANE GRINGER

taz: Frau Hackspiel-Mikosch, die Mädchen auf den aktuellen H-&-M-Plakaten sehen sehr elegant aus – in Kostüm und feinen Blusen. Zeigen sie uns damit, dass es wieder aufwärts geht?

Elisabeth Hackspiel-Mikosch: Nicht unbedingt. Gerade in politisch und wirtschaftlich unsicheren Zeiten suchen wir instinktiv nach dauerhaften Werten. Das kann auch hochwertige Kleidung sein. Nachhaltige Werte, das bedeutet: Keine Verschwendung mehr, weder im Umgang mit natürlichen Ressourcen, mit Energie, noch in der Mode.

Soll elegante Kleidung dann vertuschen, dass es uns schlecht geht?

Nein, da darf man nicht so streng sein. Sich als elegant zu „verkleiden“ ginge auch gar nicht. Es gehört mehr dazu als das Anlegen einer Hülle. Es geht um eine perfekte Gesamterscheinung, eine selbstbewusste Lebenseinstellung, gute Umgangsformen. Von eleganten Menschen ist man fasziniert, ohne dass man erklären kann, warum.

Haben Sie ein Beispiel?

Jemand wie Joseph Ackermann, zumindest was sein Äußeres betrifft. Erinnern Sie sich an sein Auftreten während der Mannesmann-Prozesse in Düsseldorf? Die Journalisten haben immer wieder seine teuren, maßgeschneiderten Anzüge erwähnt. Die Anzüge der Staatsanwälte, seiner Widersacher, knitterten nach den langen Sitzungen, seine Anzüge nicht. Ackermann benutzte das bewusst. Er forderte – auch durch seine Kleidung – Respekt ein.

Er hat bewusst manipuliert?

Ja. Die Psychologie nennt das „impression management“. Nicht nur konservative Wirtschaftsbosse, gerade auch linke Politiker nutzen die Wirkung ihrer Erscheinung. Kommt Gregor Gysi in Turnschuhen, Jeans und Polohemd daher? Nicht bei öffentlichen Anlässen, denn er will ernst genommen werden. Genauso Joschka Fischer. Der tritt als Außenminister nur noch elegant auf – auch wenn wir alle wissen, dass das mal anders war.

Abgesehen von Politikern – hieße das, Eleganz ist Ausdruck einer Krise?

In der Geschichte kann man mehrfach beobachten, wie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Eleganz zurückkehrte. In den 30er-Jahren wendete man sich mit eleganter, weiblicher Mode bewusst wieder ab von der burschikosen, emanzipierten Kleidung der 20er – einem Jahrzehnt, in dem die Frauen zunehmend berufstätig und selbstständig geworden waren. Weltwirtschaftskrise und wachsende Arbeitslosigkeit drängten sie zurück in ihre traditionelle Rolle als Frau und dazu passten weibliche, fließende Kleider, die den Körper betonten.

Ist das heute genauso? Mit Kostümchen und Bluse werden die Frauen zurück in eine abhängige Weiblichkeit gedrängt?

Nein. Sie ist eher Indiz dafür, dass man Pessimismus überwinden muss. So ähnlich war es Ende der 40er, als Christian Dior mit seiner „Ligne Corolle“ einen „New Look“ schuf. Das war eine verführerische, verschwenderische Mode, die viel Stoff brauchte, lang und weit war, fast barock. Alle waren fasziniert davon. Nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges befriedigte sie eine Sehnsucht.

So eine Sehnsucht spüren wir jetzt auch wieder?

Ja. Aber heute liegt die neue Eleganz auch einfach in der Entwicklung der Mode begründet. Die postmodernen Designer haben im letzten Jahrzehnt einiges in Frage gestellt: Müssen Nähte nach innen zeigen? Müssen Frauen wie Frauen und Männer wie Männer gekleidet sein? Dürfen Menschen und ihre Mode auch hässlich sein? Rei Kawakubo, Gründerin des Labels Comme des Garcons, hat Buckel und Entstellungen dargestellt. Es wurde geradezu ein Kult der Hässlichkeit betrieben. Auch das hat man irgendwann über und ist bereit für Neues – oder wie in diesem Fall, wieder für Altbewährtes.

Ist Mode grundsätzlich eher Anstoß dazu, dass eine Stimmung sich ändert, oder wechselt die Stimmung zuerst?

Ein guter Modemacher ist in der Lage, Stimmungen der Menschen zu spüren, was im Unterbewussten liegt, was sie berührt. Das macht die kreative und künstlerische Fähigkeit eines Designers aus. Dieses Talent haben nicht viele.

Karl Lagerfeld zum Beispiel hat jetzt auch für H & M eine Kollektion entworfen. Er ist damit aber eine Ausnahme. Sind billige Kopien von Designermode noch elegant?

Durchaus. Es ist eine Frage der inneren Einstellung und von geschickter Kombination: den teuren Pullover aus Kaschmirhaar zum günstigen Rock zum Beispiel. Der Maßanzug von C & A – diesen Service gibt es dort für um die 350 Euro – wird auf die individuellen Maße des Kunden zugeschnitten und trotzdem industriell gefertigt. Zwar kommen die Stoffqualitäten nicht an die eines 6.000-Euro-Stückes heran, aber man bekommt das Maßgeschneiderte, das Perfekte, zum günstigen Preis. Aber dass Eleganz prinzipiell mehr kostet, das hat sich noch nicht wirklich etabliert. Daran leidet ja auch die Textilindustrie.

Was macht denn nun eigentlich Eleganz aus?

Man muss Geschmack beweisen. Das ist schwierig, nicht alle Menschen haben von Natur aus Geschmack. Sie können sich aber von Farb- und Stilberatern helfen lassen. Dann kann im Prinzip jeder elegant sein.

Auch die Deutschen? Sie sieht man oft eher lässig bis nachlässig angezogen.

Ich habe lange im Ausland gelebt, bin viel gereist. Selbstverständlich fällt im Vergleich schon auf, dass Menschen in Deutschland besonders auf praktische, sportliche Mode ansprechen. Und bei den Umgangsformen hinken wir hinterher. Die Italiener zum Beispiel finden es schrecklich, wenn der deutsche Tourist im Sommer mit kurzen Hosen, Achselhemd, Sandalen und weißen Socken durch ihre Städte flaniert. Sie legen großen Wert auf „la bella figura“, die passende Kleidung zum Anlass sowie höfliches Benehmen.

Wie sieht elegantes Benehmen aus?

Ganz klassisch kommt es auf Höflichkeit, Einfühlungsvermögen und eine Kontrolle der Affekte, der Leidenschaften an. Für die Bürgerlichen hat das der Engländer George Bryan Brummel geöffnet. Er lebte um 1800, erfand den Urtyp des Dandy, ist sozusagen der Erfinder der modernen Eleganz. Was vorher nur den Höflingen vorbehalten war, sollte nun jeder tragen können. Er stellte klar, dass man für eine reinliche, elegante Erscheinung nicht adliger Abstammung sein musste.

Das gilt wohl heute mehr denn je.

Genau. Und unkultiviert sind wir Deutschen ja auch nicht wirklich. Nicht umsonst ist Gerry Weber einer der erfolgreichsten deutschen Modehersteller, weil er sportlich-klassische Mode macht. Sie ist vielleicht nicht besonders ausgefallen, aber sie verkauft sich bestens. Er kann es sich sogar leisten, Naomi Campbell in einem seiner Mäntel über den Laufsteg zu schicken. Sein Geheimnis ist das zeitlos Elegante und Praktische.

Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, Kleidung muss heute praktisch, also bequem sein.

Auch Anzüge und Kostüm?

Natürlich. Wir sind gewohnt, ein praktisches Leben zu führen. In den 50ern war Kleidung eng und steif. Das wäre heute nicht mehr denkbar. Armani hat es vorgemacht, in den Achtzigern. Seine Anzüge waren hinreißend elegant, aber trotzdem lässig. Und dank Stretchanteilen können inzwischen auch enge Sachen bequem sein.

Muss man selbstbewusst sein, um so herumzulaufen?

Ja, ich denke schon. Kleidung sollte glaubwürdig und authentisch sein. Und wenn man in seinen Sachen respektvoll behandelt werden will, muss man aufrecht und selbstbewusst auftreten. Auch wenn Ackermann menschlich umstritten ist, hat er doch genau das mit seiner Kleidung geschafft.