Dumm gelaufen

Die Sportartikelfirma Adidas will ab November mit einem so genannten intelligenten Laufschuh den Markt erobern: ein Schuh mit Mikrocomputer. Damit ist sie schon einmal gescheitert

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Sportschuhe waren dumm. Bis vor kurzem zumindest. Denn nun hat die Firma Adidas den „ersten intelligenten Sportschuh“ vorgestellt. Der weiß zwar immer noch nicht, wo wir hin wollen. Oder, was noch besser wäre, wo wir hin wollen sollten. Dafür aber weiß der Adidas One genau, wo wir gerade sind. Auf der Aschenbahn, auf hartem Asphalt oder auf fluffigem Waldboden.

Ein in die Sohlenstruktur integrierter Microcomputer ist daran schuld. Quasi ein elektronisches Fahrwerk, das streng genommen elektronisches Laufwerk heißen müsste. Es misst, so weit die Theorie, mit jedem Bodenkontakt die Kräfte, die auf den Schuh wirken. Und passt die Dämpfung Schritt für Schritt an. „Im gleichen Zeitraum, den Ihr Gehirn benötigt, zu erkennen, dass Ihre Hand einen heißen Herd berührt“, so weiß es der Pressetext, „kann der Prozessor im Schuh bis zu 20.000 Rechenoperationen ausführen.“ Und weiter: „Der Motor des Schuhs dreht sich schneller als die Rotorblätter eines Blackhawk-Helikopters.“ Überhaupt scheint im Entwicklungszentrum der Adidas-Salomon AG in Portland, Oregon – fast vis-à-vis des Nike World Campus, der Firmenzentrale des großen Konkurrenten – Superlatives entstanden zu sein: „Die Präzision des Sensors im Schuh ist bis auf die Breite eines menschlichen Haars genau.“

Und weil die Menschen mindestens so verschieden sind wie ihre Haare, kann jeder Läufer zudem seinen bevorzugten Dämpfungsgrad programmieren. All das klingt dann ein wenig nach dem Versuch, die Oberflächen einer digitalen Gesellschaft auch in den analogen Laufsport zu tragen. Der Marathonlauf mutiert fast ein bisschen zu seinem eigenen Computerspiel. Und wer einmal nicht in der anvisierten Zeit über die Ziellinie spurtet, kann dann, wie Kimi Räikkönen oder Ralf Schumacher, einfach von Problemen mit der Elektronik sprechen.

Bewegte Zielgruppe

Als „technikverliebte Gelegenheitsjogger, die man mit so einem Gimmick begeistern kann“, umreißt denn auch Urs Weber, Laufschuhexperte und Redakteur der Fachzeitschrift Runners World, jene bewegte Zielgruppe, an deren Füßen er die 250 Euro teuren Sportgeräte künftig vermutet. Olympiasieger wie ambitionierte Freizeitläufer seien mit solch „technischem Gedöns“ hingegen kaum zu begeistern.

Eine Prognose, für die Weber auch in die Produktgeschichte der Marke mit den drei Streifen blickt: „Mit dem Micro Pacer hat Adidas ja schon einmal und eben nicht sonderlich erfolgreich versucht, vom Trend zur Digitalität zu profitieren.“ Das 1986 vorgestellte Modell war unter anderem mit einer Stoppuhr und einem Schrittfrequenzmesser ausgestattet. Vor drei Jahren wurde der in futuristischem Silber gehaltene Schuh in limitierter Auflage wiederbelebt – nicht für Langläufer allerdings, sondern für distinktionshungrige Szenegänger und just zu jenem extraordinären Preis, für den künftig auch der Adidas One in ausgewählten Läden stehen soll.

In der Tat könnte sich der computergesteuerte Adidas-Renner nahtlos in die Misserfolgsgeschichte anderer Sportschuhinnovatiönchen einreihen: Der Reebok Pump etwa, ein ähnlich orthopädischen Stützprodukten aufpumpbarer Basketballstiefel. Der war in den späten Achtzigerjahren bereits 300 Mark teuer und beim Versandhaus Sport-Scheck sogar als bequeme Ratenzahlung erhältlich – und bereits vom Markt verschwunden, noch bevor die letzte Rate bezahlt war. Oder das Disc-System, entwickelt in einer Zeit, in der Puma noch ein krisengebeutelter Sportartikelproduzent war und kein börsengeliebter Lifestylekonzern. Puma Disc, eine komplexe Verschlussmechanik, sollte die Menschheit vom Diktat des Schnürsenkels befreien. Aber der Schnürsenkel zeigte sich ja schon vom Klettverschluss unbeeindruckt. Das Disc-System hingegen war nicht einmal als Retro-Wiedergänger erfolgreich.

Auch die vor drei Jahren vorgestellten Shox-Modelle von Marktführer Nike – Lauf- und Basketballschuhe mit kleinen Stoßdämpfern im Fersenbereich – erfüllten die in sie gesetzten Erwartungen kaum. Die prophezeite Sprungkraft wird allenfalls auf der Tanzfläche nachgefragt. Auf Tartanbahn und Trimm-dich-Pfad laufen die teuren High-Tech-Renner hinterher. Was Urs Weber kaum überrascht. Schließlich sei der Laufschuhmarkt gegenwärtig zwar von einem rasanten Wachstum geprägt – jeder vierte verkaufte Sportschuh ist bereits ein Laufschuh, dem gegenüber kommen Tennisschuhe gerade noch auf einen Marktanteil von etwa drei, Fußballschuhe auf nicht einmal sieben Prozent. Gleichzeitig würden die Kunden aber gerade solchen Produkten vertrauen, die sich seit langem in der Szene etabliert hätten und die nicht mit großen Marketingkampagnen in den Markt gewuchtet würden. Hier zehrt das Laufen eben noch vom Image, die etwas andere Sportart zu sein.

Wovon etwa der einstige Nischenanbieter Asics profitiert – und das nicht nur, weil Dieter Baumann seine Runden so gerne in Asics-Schuhen gedreht hat. Während andere Marken sich bewusst dafür entschieden haben, Sportartikel auch als Lifestyleprodukte zu interpretieren (so etwa Puma mit seinen hautengen Fußballtrikots für das Nationalteam Kameruns oder dem vor allem für Flaniermeilen konzipierten Rennsportschuh Speed Racer – der mit dem eingestickten Puma über dem kleinen Zeh), erklärte Asics die Mühen des Sports selbst zum Lebensstil. Und spricht in ganzseitigen Werbeanzeigen in der Fachpresse schon mal eine eindeutige Sprache: „Wenn irgendwann der Punkt kommt, an dem dein Körper dich hasst, dann sollten wenigstens deine Füße dich lieben.“

Auch die ziemlich gelungenen Fernsehspots, mit denen sich die Marke während der Olympischen Spiele einem größer werdenden Publikum und einem größer gewordenen Markt präsentierte, offenbarten ihre Aura zunächst nur eingeweihten Betrachtern. Gezeigt wurden die Zwiegespräche zweier Laufschuhe, die eben ganz dem Dialekt, besser gesagt der Dialektik der Läufer gehorchen. Die über den Marathonlauf philosophieren und nicht über die Mode. Die von Grenzgängen erzählen, die schweiß- und tränenreich gewesen sind. Laufen gegen das Ich gewissermaßen. Und es passt gut ins Bild einer individualisierten Gesellschaft, dass in der Trendsportart Laufen der eigene Körper – oder meinetwegen der so genannte innere Schweinehund – besiegt werden muss. Und kaum, wie beim Tennis oder Fußball, ein konkreter Gegenspieler.

Außenminister Joschka Fischer war es, der in seinem Buch „Mein langer Lauf zu mir selbst“ seinen persönlichen Marathonlauf ganz in diesem Sinne zur einer „inneren Machtfrage“ erklärt hat. Marlene Streeruwitz wiederum beschreibt das Laufen in ihrem aktuellen Roman „Jessica, 30“ als Synonym einer inneren Ohnmacht, als permanente Fluchtbewegung. „… Alles wird gut, ich muss nur die Praterhauptallee hinauf- und hinunterrennen und dann ist wieder alles gut …“ Es werden schon die richtigen Laufschuhe sein, in denen die alerte Jessica, jenes Sex-and-the-City-Wesen, da durch ihre Krisen hechelt. Richtig teure sind es in jedem Fall.

Digital durch die Krise

Für ungefähr fünfundsiebzig Euro geht das Paar Laufschuhe in Deutschland über die Ladentheke – weit mehr als in jedem anderen Marktsegment. Ambitionierte Läufer, also etwa solche, die regelmäßig bei Volksläufen starten, geben sogar durchschnittlich hundert Euro für ihre Air-, Gel- oder wie auch immer gedämpften Treter aus. Auch aus diesem Grund sind es längst die Laufschuhe, mit denen Sportartikelfirmen ihre Innovationen testen. Und mit denen sie ihre eigene Distinktionsfähigkeit beweisen wollen.

Denn egal ob an der Binnenalster, im Englischen Garten oder in Berliner Volksparks, beim Laufen schaut man sich schon mal gegenseitig auf die Füße. Und beäugt, mit welchem Logo denn die anderen so durch die Gegend traben. Mit dem Swoosh, den Streifen oder dem kursiven N von New Balance – eine der wenigen Marken, die ihre Laufschuhe nicht in den Billiglohnländern Südostasiens produzieren lassen, in denen wohl auch der digitale Adidas One künftig zusammengenäht wird.

Hintertür Retromarkt

Falls es indes tatsächlich so kommen sollte, dass sich Läufer und Läuferinnen nur zögerlich für den „ersten intelligenten Sportschuh“ und seinen Kaufpreis von 250 Euro erwärmen können, muss es der gestreiften Weltmarke aus Herzogenaurach übrigens nicht bange sein. Adidas bleibt ja noch die Hintertür über den Retromarkt: In ein paar Jahren schon taugt der Adidas One zum schicken Souvenir von gestern. Einer dann fernen Epoche, in der Mikroprozessoren in Anziehsachen noch auf Unverständnis gestoßen sind. Und die Menschheit noch dumm durch die Gegend gelaufen ist.