DIE ZEITEN DER MASSENPRODUKTION SIND IN DEUTSCHLAND VORBEI
: Abschied von Autoland

Jeff Immelt ist Boss von General Electric und Manager des Jahres 2003 in den Vereinigten Staaten. Seine Firma investiert gerade in Deutschland: Für eine halbe Milliarde Euro baut sie ein Forschungszentrum bei München. Bei der Entwicklung neuer Technologien sei Deutschland mit seinem exzellent ausgebildeten wissenschaftlichen Personal aus Universitäten und aus privaten Forschungsinstituten nicht nur in Europa „einsame Spitze“, so Immelt. Die Zukunft für Deutschland liegt für ihn ohnehin in der kommerziellen Nutzung von Forschungsergebnissen aus der Bio- und Gentechnologie sowie im Gesundheitssektor. Denn damit könne bald überall auf der Welt richtig gutes Geld verdient werden.

Immelt sagt aber auch, dass er General-Electric-Kühlschränke „niemals“ in Deutschland fertigen lassen würde. Eine Massenproduktion werde weder dem Human- noch dem Technologiepotenzial des Landes gerecht. Zudem sei sie viel zu teuer. Kühlschränke baut General Electric lieber in Spanien. Oder in Ungarn – für noch geringere Produktionskosten. Die Herstellung von Elektrogroßgeräten ist in Deutschland schon seit zehn Jahren obsolet. In Osteuropa nämlich kann seit 1989/90 weit günstiger produziert werden, in Schwellenländern der Dritten Welt gibt es noch bessere Konditionen.

Auch für die Massenproduktion von Kleinwagen und von Fahrzeugen der Kompakt- und Mittelklasse wird Deutschland bald kein Produktionsstandort mehr sein. Denn die weltweit operierenden rund 15 Konzerne, denen (fast) alle Automarken gehören, werden ihre Produktionen dorthin verlagern, wo die Fahrzeuge am kostengünstigsten produziert werden können – und wo gigantische, in der Entwicklung befindliche Märkte den Absatz garantieren. Der von Renault konzipierte „Logan“ etwa soll in Russland, Kolumbien, Marokko und dem Iran gebaut und für schlappe 5.000 Euro in Asien, Südamerika und Afrika verkauft werden. In Westeuropa wird der neue Wagen durchaus bezahlbare 2.500 Euro mehr kosten.

In Osteuropa schießen die Autowerke wie Pilze aus dem Boden. Und in den schon bestehenden Fabriken dort werden Gewinnmargen erwirtschaftet, von denen die Bosse an alten Produktionsstandorten wie Deutschland nur noch träumen können. Europaweit wirklich wirtschaftlich arbeitet etwa bei General Motors (GM) nur noch das Opelwerk in Polen und – mit Abstrichen – das in Eisenach (Thüringen) sowie das längst „abgespeckte“ Werk im belgischen Antwerpen. In China und Indien haben die Giganten der Branche diverse Projekte am Laufen oder bauen schon eigene Fabriken.

Um in Europa wenigstens noch ein paar Jahre konkurrenzfähig bleiben zu können, will GM bei seinen Tochtergesellschaften Opel, Vauxhall und Saab jetzt umgehend 500 Millionen Euro per annum einsparen – und das vor allem bei Opel in Deutschland. Auf übertarifliche Leistungen werden die Beschäftigten wohl verzichten müssen. Und: Es wird zu Entlassungen kommen. Vielleicht gibt GM Europe – wie von den Gewerkschaften gefordert – dafür im Gegenzug immerhin eine Standortgarantie für alle Werke im Konzernverbund auf dem Kontinent bis 2010 ab.

Und danach? Kommt das „Modell General Electric“. Entsprechende Pläne liegen in Detroit und bei GM Europe in Zürich schon in den Schubladen. Das Werk in Rüsselsheim wird dann nur noch ein Standort für Forschung und Entwicklung sein – aber immerhin einer mit Zukunftschancen. Das Werk in Bochum: nur noch ein Presswerk zur Herstellung von Teilen für die osteuropäischen Fabriken von GM. Die Massenproduktion findet dann anderswo statt als im „Hochlohnland Deutschland“ (GM) mit seinen auch exorbitanten Lohnneben- und Energiekosten. Andere Massenhersteller wie Ford oder VW werden diesen Weg auch gehen müssen, denn ansonsten sind sie zum Ende der Dekade nicht mehr konkurrenzfähig.

Abschied vom Autoland Deutschland also? Nicht ganz. Produzenten von Fahrzeugen der gehobenen und der Luxusklasse wie Mercedes, Porsche, BMW und Audi werden überleben. Sie stellen Hochtechnologieprodukte von Weltruf in einem Hochtechnologieland her, und das konkurrenzlos. Bisher zumindest. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT