Grundkurs Demokratie: Mund auf, Hirn aus

Im Bundestag simulieren Jugendliche den Weg der Gesetzgebung. Ihre eigene politische Meinung zählt nicht

BERLIN taz ■ Sie sind jung, und sie sind engagiert: in Schülervertretungen, Gemeinderäten und Parteijugendverbänden. 300 Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren hat der Deutsche Bundestag nach Berlin eingeladen, um im Rahmen der Veranstaltung „Jugend + Parlament“ drei Tage lang den Weg der deutschen Gesetzgebung zu simulieren. Doch mit ihrer eigenen Meinung waren die Demokratiepraktikanten nicht gefragt.

„Ich hätte lieber meine eigene Einstellung vertreten, als vorgefertigte Positionen zu übernehmen“, sagt Johannes Meichsner, 16. Während die Teilnehmer bei früheren Veranstaltungen die Themen bestimmen und am Ende eine Resolution mit eigenen Positionen verabschieden konnten, blieb den Jugendlichen diesmal kaum eine Möglichkeit, ihre Ansichten einzubringen. Rollen und Parteien wurden ausgelost, die Themen der Gesetzesvorlagen, die bei diesem Planspiel in Ausschüssen und Fraktionen diskutiert wurden, hatten vorab schon Erwachsene festgelegt: der Ältestenrat des Bundestages.

„Man muss seine eigene Überzeugung komplett ausschalten“, meint die 17-jährige Grüne Anne Pohl. Bei einigen Abstimmungen hat sie sich lieber enthalten. „Auch bei einem Spiel stimme ich nicht gegen meine Prinzipien.“ Die Veranstalter verteidigen dagegen ihr Konzept. „Es ging darum, jungen politikinteressierten Leuten eine Innensicht des Bundestages zu vermitteln“, sagt Frank Burgdoerfer, der das Planspiel im Auftrag des Bundestags organisiert. „Das ist keine Veranstaltung, wo die Meinung der Jugendlichen im Mittelpunkt steht.“

Die abschließenden Abstimmungen über die Gesetze im Plenarsaal des Bundestages fielen dementsprechend aus. Tempolimit, die Steuer auf Alkopops und ein Gleichstellungsgesetz für Frauen in der Wirtschaft, diese Themen konnten die Regierungsparteien bestehend aus der „Arbeiterpartei“ und der „Ökologisch-Sozialen Partei“ für sich entscheiden. Der Vorschlag von Liberalen und Grünen zur Aussetzung der Wehrpflicht wurde hingegen abgeschmettert. Obwohl genau das sich die meisten Jugendlichen im wahren Leben wahrscheinlich wünschen.

Zum Schluss kam es doch noch zu einer kleinen, basisdemokratischen Erhebung. „Unsere Altersgruppe wird ja im Bundestag überhaupt nicht repräsentiert“, sagt Boja Zimmermann, 18. Wenn es schon nicht bei „Jugend + Parlament“ um seine Belange geht, so fordert er zumindest ein regelmäßiges „Bundesjugendparlament“ im Bundestag. Die Beschlüsse, die dort gefasst werden, sollen dann in den Bundestag eingebracht und diskutiert werden.

Für diese Idee startete Zimmermann kurzerhand eine Unterschriftenkampagne unter den 300 Teilnehmern. Unterschrieben haben den Antrag fast alle – über alle Fraktionen hinweg. Am Ende haben sie ihn Bundestagspräsident Wolfgang Thierse vorgelegt. Der fand den Vorschlag zumindest „interessant“.

KARIN LOSERT