Regierung Lula auf Atomkurs

Umweltschützer: Atomvertrag kündigen. Aber Brasília plant Ausbau der Atomkraft

PORTO ALEGRE taz ■ Der Vorschlag rot-grüner Parlamentarier, Deutschland solle den Atomvertrag mit Brasilien kündigen, ist gestern von Umweltgruppen heftig begrüßt worden. In einer gemeinsamen Erklärung von Greenpeace Brasilien mit den deutschen Organisationen BUND, DNR, Nabu und Robin Wood heißt es, so könne die deutsche Regierung ein „Signal setzen, dass sie es mit ihrem Atomausstieg ernst meint“. Auch das Umwelt- und das Außenministerium sind dafür, den Vertrag aus dem Jahr 1975 dahin zu korrigieren, dass zukünftig eine „nichtatomare Energieversorgung“ gefördert wird (siehe taz von gestern). Von offizieller brasilianischer Seite gab es bisher keinen Kommentar zu dieser Frage. Ganz im Gegenteil setzt die Regierung Lula massiv auf den Ausbau der Atomkraft.

„Deutschland sollte auf diplomatischem Weg dafür sorgen, dass Brasilien stärker auf erneuerbare Energien setzt“, sagte der brasilianische Alt-Grüne und Oppositionsabgeordnete Fernando Gabeira der taz. Derzeit deutet allerdings fast alles in die entgegengesetzte Richtung. Letzte Woche, als Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA die brasilianische Uranfabrik bei Rio de Janeiro besichtigten, ging die Atomlobby in die Offensive. Wissenschafts- und Technologieminister Eduardo Campos forderte nicht nur die Fertigstellung des Siemens-AKWs Angra 3, sondern auch den Bau vier weiterer Meiler in Nordostbrasilien. Dabei berief er sich ausdrücklich auf die deutsch-brasilianischen Atomträume der Siebzigerjahre. „In 11, 12 Jahren könnte die Kernkraft ein Viertel unserer Energieproduktion ausmachen“, meint Campos. Derzeit sind es gut 4 Prozent.

Mit seinen Positionen liege Campos ganz auf der Linie von Präsident Luiz Inácio Lula und Präsidialamtsminister José Dirceu. „In Umweltfragen denken Lula und Dirceu wie Bush“, meint Gabeira, der deswegen der regierenden Arbeiterpartei PT den Rücken gekehrt hat. „Sie glauben wirklich, dass Ökologie das Wirtschaftswachstum behindert.“

Bis Jahresende will sich die Regierung festlegen, ob Angra 3 fertig gestellt wird. Teile der Anlage lagern seit Beginn der Achtzigerjahre an der Küste zwischen Rio und São Paulo, direkt neben dem baugleichen AKW Angra 2, das 2000 in Betrieb genommen wurde. Regierungsintern warnt Energieministerin Dilma Rousseff vor den spürbaren Tariferhöhungen, sollte das Projekt scheitern. 750 Millionen Dollar hat Brasilien bereits für Angra 3 bezahlt, Angra 2 kostete über 10 Milliarden. GERHARD DILGER